
Liechtensteins Arbeiter schlossen sich 1920 zu einem Arbeiterverein zusammen und suchten sich für die Gründung des Verbandes mit Maria Lichtmess ein besonderes Datum aus. Schon wenige Wochen später folgten die Arbeiterinnen den männlichen Kollegen mit der Gründung des Arbeiterinnenvereins. An der Vereinsgründung am 14. März 1920 in Triesen nahmen etwa 50 Frauen teil.
Text: Günther Meier
Inspiriert von den Arbeiterbewegungen und Gewerkschaften im Ausland trafen sich rund 200 Arbeiter im Adler-Saal in Vaduz zur Gründung des Liechtensteinischen Arbeitervereins. Zum ersten Präsidenten wurde Friedrich Kaufmann aus Schaan gewählt. Die nach lebhafter Diskussion genehmigten Statuten sicherten jedem Arbeiter die Mitgliedschaft zu, egal ob in Liechtenstein oder in der Schweiz tätig. Die Gründung des Arbeitervereins erfolgte nicht nur zur Durchsetzung der Rechte der in Fabriken angestellten Arbeiter. Es ging auch um Wertehaltungen. Als Hauptaufgabe wurde in den Statuten festgelegt, «die Mitglieder auf eine möglichst moralisch hohe Stufe zu bringen und ihnen dauernd einen menschenwürdigen Anteil an den Errungenschaften der Kultur zu sichern». Zusätzlich wollte der Verein die wirtschaftlichen Interessen der Arbeiterschaft zur Verbesserung der Lohn- und Arbeitsbedingungen gegenüber Unternehmern und Behörden vertreten. Vorgesehen war ebenso der Aufbau eines Rechtsschutzes, sofern die damit verbundenen Kosten vom Verein getragen werden könnten. Im Gegenzug hatten die Arbeiter einen Beitrag von einer österreichischen Krone, der damals offiziellen Währung in Liechtenstein, pro Woche zu entrichten.

Konfrontation zwischen katholischer Kirche und Sozialismus
Die Gründung des Arbeiterverbandes fällt in die wirtschaftlich schwierige Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, der auch Liechtenstein betroffen hatte, obwohl sich das Land als neutral erklärt und von kriegerischen Handlungen verschont geblieben war. Die Wirtschaft, die vor dem Weltkrieg einen leichten Aufschwung erlebt hatte, litt unter Rohstoffmangel und hatte in den traditionellen Absatzgebieten grosse Probleme, die produzierten Waren zu verkaufen. Gegen Ende 1917 mussten die Spinnerei in Vaduz und die Weberei in Triesen ihre Tätigkeit einstellen. Zur gleichen Zeit schloss die Bierbrauerei Quaderer in Schaan ihre Produktionsstätte, weil der Nachschub von Gerste und Malz aus Österreich ausblieb. Die unsichere Beschäftigungslage dauerte nach dem Ersten Weltkrieg noch einige Zeit an, da der Import von Rohstoffen nicht gesichert war.
Den Anstoss für die Gründung des Arbeitervereins gaben nicht die Arbeiternehmer im Land, sondern Arbeiter, die in der Schweiz eine Stelle gefunden hatten und mit den Forderungen der Arbeiterschaft nach mehr Rechten und Einfluss vertraut waren. Im damals noch stark landwirtschaftlich geprägten Liechtenstein erhoben sich gleich Vorbehalte gegen Arbeitervereinigungen oder Gewerkschaften, weil man Einflüsse des Sozialismus oder gar Kommunismus befürchtete. Insbesondere die Pfarrherren ermahnten die Arbeiter, sich nicht den sozialdemokratischen Ideen auszuliefern. Wenn es eine Arbeiterorganisation geben sollte, dann dürfe sich diese keinesfalls an den Leitlinien einer sozialdemokratischen Gewerkschaft orientieren. In Liechtenstein müsse vielmehr eine christliche Arbeiterbewegung aufgebaut werden. Die Geistlichen stützten sich auf ein Rundschreiben der Schweizer Bischöfe, das in jeder Kirche von der Kanzel verlesen wurde. Dort hiess es: «Wer zum Sozialismus als System, zu seinen Grundanschauungen und Hauptzielen sich offen bekennt, oder wer offen für die sozialistische Sache kämpft und wirbt, entbehrt, solange er in dieser Gesinnung unbelehrbar verharren will und verharrt, derjenigen Vorbedingung, welche zum würdigen Empfang eines Sakramentes unerlässlich ist.» Unterstützung erhielt die Kirche von konservativen weltlichen Kreisen, welche die Arbeiter davor warnten, sich einer Schweizer Gewerkschaft anzuschliessen, denn dann müssten sie nach der Pfeife des «schweizerischen Bolschewikibundes» tanzen. Den liechtensteinischen Arbeitern wurde empfohlen, nicht den «roten Leithammeln» nachzulaufen, sondern den Ideen der «altbewährten Führerin, der katholischen Kirche» zu folgen.
Der Hofkaplan an der Spitze des Arbeiterinnenvereins
Auch bei der Gründung des Arbeiterinnenvereins hatte die Geistlichkeit ein wichtiges Wort mitgeredet. Die Initiative zu seiner Gründung ging von Hofkaplan Alfons Feger aus, der zur Informations- und Gründungsversammlung alle Fabrikarbeiterinnen, Heimarbeiterinnen und Dienstmädchen einlud. Die Arbeiterinnen genehmigten die Statuten, die in wesentlichen Teilen der Ausrichtung des wenige Wochen vorher gegründeten Arbeitervereins entsprachen: Schutz und Förderung der Frauen im Beruf, gerechter Lohn und gute Behandlung am Arbeitsplatz, Errichtung einer Spar- und Krankenkasse sowie Rechtsschutz. Zusätzlich versprach der neue Verein, sich für die Unterstützung der Wöchnerinnen einzusetzen. An die Spitze des Arbeiterinnenvereins wurde interessanterweise aber keine Arbeiterin gewählt. Den Vorsitz übernahm der Initiant, Hofkaplan Alfons Feger, in den Statuten «Präses» genannt.
Frauen als Arbeiterinnen, die in einer Fabrik oder einem gewerblichen Unternehmen einer Vollzeitbeschäftigung nachgingen, gab es 1920 nicht sehr viele. Prägend bis zum Ersten Weltkrieg war für die Wirtschaftsstruktur Liechtensteins die Landwirtschaft. Zur Zeit der Gründung des Arbeiterinnenvereins wurden rund 1300 Bauernhöfe gezählt, die überwiegend als Familienbetrieb organisiert waren, wie Claudia Heeb-Fleck im Buch «Inventur – zur Situation der Frauen in Liechtenstein» schreibt. Familienbetrieb bedeutete oft, dass die Frauen den Haushalt führten, die Kinder aufzogen und nebenher noch im Bauernbetrieb arbeiteten. Ihre Männer übten neben der Landwirtschaft noch ein Handwerk oder ein Gewerbe aus, andere gingen auch als Saisonarbeiter in die Schweiz.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts siedelten sich Textilbetriebe an, deren Belegschaft zum grösseren Teil aus Frauen bestand. Im Jahr 1912 wurden in diesen Unternehmen 470 Frauen und 207 Männer als Beschäftigte gezählt. Die Löhne seien tief gewesen und die Arbeitszeiten lang, schreibt Claudia Heeb-Fleck, ebenso seien die Arbeitsbedingungen anstrengend und ungesund gewesen. Auf der anderen Seite ein positiver Aspekt: «Immerhin garantierte die Fabrik aber gesetzlich geregelte und behördlich kontrollierte Arbeitsverhältnisse und damit einen gewissen Schutz vor allzu grosser Ausbeutung. Die vor allem von jungen ledigen Frauen ausgeübte Fabrikarbeit stand in geringem Ansehen, die Bedeutung des Verdienstes, den die sogenannten Fabrikmädchen zu Hause ablieferten, kann jedoch kaum hoch genug eingeschätzt werden.»

Keine Angaben über die Wirkung des Arbeiterinnenvereins
Zum Arbeiterinnenverein ist, ausser dem Protokoll und dem Bericht über die Gründungsversammlung, praktisch nichts überliefert. Möglicherweise hängt dies mit der Statutenänderung des Arbeitervereins zusammen, die kurz nach der Gründung des Arbeiterinnenvereins auch den weiblichen Erwerbstätigen die Möglichkeit bot, dem Arbeiterverein als Mitglied beizutreten. In der Jubiläumsbroschüre «75 Jahre Liechtensteiner Arbeitnehmerverband» äussert der Historiker Rupert Quaderer noch eine andere Vermutung: «Vermutlich war die Einflussmöglichkeit im Kampf um eine Besserstellung der Arbeiterinnen durch die sehr enge Bindung an kirchliche Organe eingegrenzt.» Ausserdem könnten sich nach seiner Einschätzung der Ausschluss der Frauen von politischen Entscheidungsmechanismen und die doppelte Belastung der Frauen in Erwerbstätigkeit und Haushalt nachteilig für die Durchsetzung ihrer Interessen ausgewirkt haben.
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