Vor 100 Jahren: Mit Lotterien nahe am Abgrund des Staatsbankrotts

Ziehung der Lotterie im Engländerbau, Mitte: Regierungssekretär Ferdinand Nigg und Polizist Strub; 1933, SgAV 17/001/104/002; Quelle: Liechtensteinisches Landesarchiv Vaduz

Nach dem Ersten Weltkrieg kämpfte Liechtenstein mit finanziellen Problemen. In der Not verlegte sich das Land darauf, mit zweifelhaften Unternehmungen möglichst rasch zu Geld zu kommen. Die gescheiterten Versuche mit der Klassenlotterie und dem Mutual-Club verursachten materiellen Schaden, aber auch eine Schädigung für das Ansehen des Landes.

Text: Günther Meier

Eigentlich hätte die Regierung gewarnt sein können, die Finger von Unternehmungen zu lassen, die ohne viel Arbeit grosse Gewinne versprachen. Lediglich ein paar Jahre vorher hatte ein Briefmarkenkonsortium die seriösen Geschäfte mit Postwertzeichen in den Keller gefahren. Trotzdem erteilte die Regierung im Jahr 1925 die Bewilligung für eine Klassenlotterie und ein Lotterieunternehmen für englische Pferderennen. Der Schaden liess nicht lange auf sich warten: Schon ein Jahr nach der Bewilligung zog die Regierung die Reissleine für die Klassenlotterie. Auf Druck der Schweiz musste 1934 auch der Mutual-Club im Engländerbau geschlossen werden.

Englische Lotterie zieht aus der Schweiz nach Liechtenstein
Landtagspräsident Wilhelm Beck reichte Anfang Februar 1925, also vor ziemlich genau 100 Jahren, ein Gesuch bei der Regierung ein. Bei der nach zusätzlichen Staatseinnahmen suchenden Exekutive stiess der Antrag auf grosse Zustimmung. Schon am 21. Februar 1925 erteilte die Regierung die «Konzession zum Betrieb von Geldlotterien auf englischen Sportveranstaltungen». Es ging vor allem um Wetten bei Pferderennen. Das Unternehmen unter dem Namen J. R. Duggan Ltd. war vorher im Kanton Uri in der Schweiz tätig gewesen, konnte aber aufgrund des Lotteriegesetzes von 1923 seine Tätigkeit nicht weiter ausüben. Obwohl Lotterien in vielen Ländern verboten waren, lief das Lotteriegeschäft in Liechtenstein gleich zu Beginn erfreulich. Lose für die erste Ziehung, die am 25. Mai 1925 stattfand, waren aus Südafrika, den USA, Burma, Indien, Frankreich, Irak, Kanada, Irland, Belgien, Holland, Jamaika, Malta, Griechenland und den Bermudas eingetroffen. Für Liechtenstein lohnte sich die Lotterie: Die Landeskasse erhielt Steuereinnahmen von rund 100’000 Franken, und das Unternehmen beschäftigte schon im ersten Jahr etwas über 50 Personen. Kein Wunder, dass die Konzession unter dem neuen Namen «Mutual-Club» bis 1930 verlängert wurde.

Auf die englischen Pferdewetten folgte eine Klassenlotterie
Praktisch parallel zum «Mutual-Club» reichten einige risikofreudige Unternehmer aus der Schweiz und Liechtenstein bei der Regierung ebenfalls ein Gesuch zum Betreiben einer Klassenlotterie ein. Die Regierung handelte auch bei diesem Antrag speditiv, weil befürchtet wurde, die Gesellschaft könnte in ein anderes Land ziehen. Obwohl nicht alle Details geklärt waren, erhielt die Gruppierung um die Schweizer Bank Sautier und die liechtensteinische «Vertriebsunion Triesenberg» die Berechtigung für eine Lotterie – vorerst für einen Zeitraum von sieben Jahren. Bei der Klassenlotterie handelte es sich um ein Glücksspiel, das in verschiedene Spielabschnitte – die sogenannten Klassen – aufgeteilt war. Die höchsten Gewinne konnten die Spieler dabei in der obersten Klasse erzielen.

Allerdings stand das Unternehmen unter einem schlechten Stern. Probleme ergaben sich bereits beim Versand des Werbematerials, denn ausländische Postanstalten verweigerten die Weiterbeförderung, sobald der Zusammenhang mit einer Lotterie ersichtlich wurde. Die Klassenlotterie versuchte dieses Problem mit dem Versand des Werbematerials über Deckadressen in der Schweiz zu umgehen, was Konflikte mit der Schweiz provozierte. Eine erste Ziehung der Klassenlotterie konnte noch 1925 durchgeführt werden, obwohl aufgrund des Boykotts der Postanstalten der Rückfluss von Spielergeldern erheblich geringer als erwartet ausfiel. Im Januar 1926 gab es nochmals eine Ziehung, dann war die Klassenlotterie bereits am Ende, das notwendige Geld für die Auszahlung der Gewinner fehlte. Die Regierung verfügte die Schliessung der Lotterie und leitete ein Gerichtsverfahren gegen die Gesellschaft ein.

Aus dem Desaster zog die Regierung jedoch nicht die richtigen Schlussfolgerungen. Aus den Gemeinden, in denen die Klassenlotterie rund 200 Personen beschäftigte, vor allem Frauen, gelangten Eingaben an die Regierung, die eine Fortsetzung verlangten. Die Regierung, auf der Suche nach attraktiven Einnahmen für die Staatskasse, beugte sich dem Druck und erteilte nur zwei Wochen später eine neue Konzession an eine amerikanische Firma. Auch die neuen Betreiber hielten aber nicht lange durch. Nach fünf Ziehungen war Schluss, kein Geld mehr zur Auszahlung vorhanden. Die Regierung entzog dem Unternehmen am 17. November 1926 die Konzession. Den Schaden konnte sie dadurch etwas in Grenzen halten, weil sie sich die von der Gesellschaft bei der Konzessionierung hinterlegte Kaution von 100’000 Franken sicherte, obwohl das Unternehmen die Herausgabe dieser Summe verlangte.

Die unseriöse Geschäftsführung der Klassenlotterie stand indirekt auch in einem Zusammenhang mit dem Sparkassen-Skandal, der 1928 beinahe zum Ruin der Liechtensteinischen Landesbank geführt hatte. Denn die Klassenlotterie wurde nach Rumänien ausgedehnt, das dafür notwendige Geld von der Landesbank durch Betrügereien beschafft. Letztlich resultierte aus der riskanten Geschäftserweiterung ein Verlust von 1,8 Millionen Franken, was mehr als dem damaligen Jahresbudget des Landes entsprach.

Die Schweiz zwingt Liechtenstein, den Stecker zu ziehen
Auch der Mutual-Club bekam wie die Klassenlotterie den Boykott ausländischer Postanstalten für die Weiterleitung des Werbematerials zu spüren. Die Betreiber wichen deshalb auf die Schweiz aus, verschicken von Schweizer Poststellen das Werbematerial in alle Welt und liessen die Lotteriesendungen auch dahin schicken. Der Regierung wurden diese Ausweichmanöver mitgeteilt, die das Unternehmen ermahnte, die Schweiz dürfe in keiner Weise vom Lotteriebetrieb tangiert werden. Auch das Eidgenössische Politische Departement verfolgte die Angelegenheit mit Argusaugen und stellte fest, Lotterieteilnehmer aus vielen Ländern seien weiterhin über Poststellen in den Postkreisen St. Gallen, Chur, Zürich und Basel beliefert worden. Der Bundesrat beschloss, um dem Treiben ein Ende zu setzen, dass das Schweizer Lotterieverbot über den Zollvertrag auch für Liechtenstein gelte. Alle Bemühungen, den Beschluss rückgängig zu machen, blieben erfolglos. Auf einen Antrag des Landtags, mit dem Bundesrat zu verhandeln, um die Lotterie im Land behalten zu können, kam es zu Gesprächen zwischen Regierung und Bundesrat – ohne Erfolg. Die Schweiz liess durchblicken, wenn Liechtenstein nicht einlenke, könnte der Zollvertrag gekündigt werden. Auf diesen Druck hin beschloss der Landtag am 28. Dezember 1933 die Übernahme des Schweizer Lotteriegesetzes, womit das «Lotterie-Zeitalter» beendet war.

Ziehung der Lotterie im Engländerbau; 1933, SgAV 17/001/104/003; Quelle: Liechtensteinisches Landesarchiv Vaduz

Der Engländerbau stammt noch aus der Lotteriezeit
Der Engländerbau in Vaduz ist heute noch ein sichtbares Zeichen aus der ruinösen Lotterie-Zeit Liechtensteins. Die englische Lotteriegesellschaft Mutual Life Insurance Company, kurz Mutual-Club genannt, die von der Zukunft ihrer Geschäftstätigkeit überzeugt war, erteilte 1933 dem Architekten Erwin Hinderer aus Schaan den Auftrag für die Planung einer repräsentativen Niederlassung. Das Gebäude wird im Buch «Die Kunstdenkmäler des Fürstentums Liechtenstein» von Cornelia Hermann als spezielles Bauwerk im Zentrum von Vaduz beschrieben: «Das klar gegliederte dreigeschossige Gebäude unter flachem Walmdach ist ein Beispiel der frühen Moderne. Der lang gestreckte, ostseitig gestuft an den Schlossfelsen angelehnte Stahlskelettbau ist mit Backsteinmauerwerk ausgefacht und mit senkrecht gestellten Travertinplatten verkleidet. Der wohlproportionierte Bau zeichnet sich an der Westseite im Erdgeschoss durch eine Gliederung mit Schaufenstern, an den beiden Obergeschossen mit regelmässiger Fensterreihung aus.»

Der Mutual-Club konnte den Lotteriegeschäften wegen der oben beschriebenen staatlich verfügten Auflösung 1934 nicht lange in diesem Gebäude nachgehen. Bis heute diente der Engländerbau, der im Volksmund nach den englischen Bauherren so genannt wird, ganz verschiedenen Verwendungszwecken. Die Philatelie Liechtenstein und Tourismus Liechtenstein waren im Gebäude, das vom Land 1944 gekauft worden ist, schon einquartiert. Ebenso konnten dort Exponate der Fürstlichen Sammlung und der Staatlichen Kunstsammlung bestaunt werden. Nicht vergessen werden darf der legendäre Goldene Wagen, der bis zu seiner Überstellung nach Wien im Erdgeschoss neugierige Blicke von Einheimischen wie Touristen anzog. Heute steht das Gebäude den Ausstellungen des «Kunstraums Engländerbau» zur Verfügung.