Seit den Landtagswahlen vom 9. Februar beschäftigen sich die Parteien, insbesondere die VU als Wahlsiegerin mit ihrer Spitzenkandidatin Brigitte Haas und die FBP als Zweitplatzierte, mit der Bildung einer Koalitionsregierung. Dass sich dieses Prozedere in der Vergangenheit schon einfacher gestaltet hat, liegt nicht zuletzt am Wahlergebnis, für das immer wieder das Wort «historisch» verwendet wird.
Text und Interview: Heribert Beck
Historisch war das Wahlergebnis in vielerlei Hinsicht. Sei es nun das bisher niedrigste Wahlresultat der FBP, die im neuen Landtag noch auf sieben Sitze kommt, oder das Erstarken der DpL, die nun mit sechs Mandaten beinahe auf Augenhöhe mit der Bürgerpartei sind. Historisch stark war auch das Abschneiden der Kandidatinnen. Acht Frauen sind im Parlament als ordentliche Abgeordnete vertreten – mehr als jemals zuvor. Und mit Brigitte Haas dürfte aller Voraussicht nach erstmals eine Frau die Leitung der Regierung übernehmen, wobei zuvor Koalitionsverhandlungen stattfinden müssen. Die Sitzung des FBP-Landesvorstands, die über die Aufnahme dieser Verhandlungen beraten hat, fand am Mittwochabend nach Redaktionsschluss der «lie:zeit» statt.
Zum ersten Mal seit 1962 kein Machtwechsel
Sollte Brigitte Haas, derzeit noch Geschäftsführerin der Liechtensteinischen Industrie- und Handelskammer, tatsächlich die erste Regierungschefin des Landes werden, wäre ihr und der VU noch in einem Aspekt Historisches gelungen: Letztmals folgte mit Gerard Batliner (FBP) am 16. Juli 1962 und damit lange vor der Einführung des Frauenstimmrechts ein Regierungschef auf einen Vertreter seiner eigenen Partei. Seit Batliner am 18. März 1970 von Alfred Hilbe (VU) abgelöst wurde, wechselten sich die Parteien in der Führungsverantwortung stets ab, wenn ein Regierungschef nicht mehr antrat oder abgewählt wurde.
Brigitte Haas jedenfalls ist bereit, das Amt von ihrem Parteikollegen, dem amtierenden Regierungschef Daniel Risch, zu übernehmen, wie sie im Interview ausführt. «Verlässlichkeit, Stabilität und Sicherheit waren die Themen, die wir als VU in den Vordergrund gestellt haben und die wir leben. Diese Werte sind in den gegenwärtig unsicheren Zeiten sehr wichtig», sagt sie. Und weiter: «Ich freue mich auf mein neues Amt – gleichzeitig habe ich grössten Respekt vor dieser verantwortungsvollen Aufgabe, die ich mit Demut übernehmen darf.»

«Das ‹Metanand› wird gelebt»
Brigitte Haas hat einen sachlichen Wahlkampf geführt und unter anderem mit ihrem überlegten Auftreten bei den Wahlberechtigten gepunktet. Sachlich, überlegt und verbindend möchte sie auch das Amt der Regierungschefin ausüben.
Frau Haas, ein langer Wahlkampf liegt seit dem 9. Februar hinter Ihnen. Wie haben Sie diese Zeit empfunden und was waren für Sie die besonderen Erlebnisse?
Brigitte Haas: Ein erster Höhepunkt war der fulminante Start am Freiluft-Parteitag Ende August 2024 in der Arena beim Gasometer in Triesen. Die ausgezeichnete Stimmung am Abend bot den perfekten Auftakt zu einem halben Jahr, in dem ich mich zusammen mit meinen Kollegen Hubert Büchel und Emanuel Schädler von der VU unterstützt und getragen fühlen durfte. Einzigartige Nominationsversammlungen in den Gemeinden folgten, von der ersten in Ruggell – musikalisch begleitet mit Handorgel und roter Fahrradklingel – bis zur letzten in Balzers, wo sogar VU-Krömle kredenzt wurden. Gekrönt wurde das Ganze vom fantastischen Nominationsparteitag im November in Triesenberg. Ganz besonders im Gedächtnis geblieben sind mir die zahllosen persönlichen Begegnungen, die mir viel mit auf den Weg gegeben haben, für die ich dankbar bin und die ich sehr schätze – sie haben mir erlaubt, immer zuversichtlich und bei guter Stimmung zu bleiben. Beeindruckt hat mich die intensive Erarbeitung des Parteiprogramms gemeinsam mit den 25 Landtagskandidatinnen und -kandidaten. Es war ein intensiver Austausch, ein Sich-Finden bei den verschiedenen Themen. Es war schön zu sehen, wie eine grosse Bandbreite von Meinungen bestand – und dennoch eine gemeinsame Grundhaltung entwickelt werden konnte. Dies gab Kraft für die Zeit des Wahlkampfs.
Herausfordernd war für mich der zeitliche Aufwand für alle Anlässe und alle Aufgaben, die es mit sich bringt, wenn man sich als Regierungschef-Kandidatin aufstellen lässt. Aber es war eine «g’freute Zeit»!
Als Spitzenkandidatin der VU waren Sie eine der grossen Gewinnerinnen des Wahlsonntags am 9. Februar. Wie haben Sie den Tag erlebt?
Je länger der Tag ging, umso schöner wurde er (lächelt). Die Anspannung war ernorm. Wenn man über so viele Monate mit so viel Herzblut und Einsatz auf den Wahltag hin arbeitet, bündelt sich die Spannung am Wahlsonntag. Man hofft auf ein gutes Resultat. Die kurze Unsicherheit nach Bekanntwerden des ersten Resultats wandelte sich mit jedem weiteren Ergebnis aus den anderen Gemeinden um in eine grosse Erleichterung und zuletzt in riesengrosse Freude. Ich erinnere mich, dass eine Frau direkt nach Bekanntwerden des Plankner Resultats lächelnd zu mir gesagt hat: «Nur Zuversicht, wir rollen das Feld von hinten auf!» Und so war es. Gefreut hat mich auch die Spitzenrunde im Landtagsgebäude, an der alle Parteien vertreten waren und die sehr respektvoll verlaufen ist. Für mich war der Wahlsonntag dank des Erfolgs der VU ein Freudentag, der mit einer unvergesslichen Feier im «Rössle» in Schaan seinen Höhepunkt erreichte.
Worauf führen Sie den Erfolg der VU zurück?
Die VU konnte 25 ausgezeichnete Landtagskandidatinnen und -kandidaten präsentieren. Alle haben sich sehr eingesetzt, sind mit vielen Menschen in Kontakt getreten, haben deren Anliegen abgeholt. Einige setzen sich seit Jahren für das Wohl der Gemeinschaft ein, sei es in der Politik oder im gesellschaftlichen Leben, wodurch Vertrauen entsteht. Dies kommt allen zugute. Der Landtag ist die Volksvertretung, die VU-Kandidatinnen und -kandidaten sind ein Abbild der konstruktiven Mitte. Das «Metanand» wird gelebt. Dank unseres starken Präsidenten, des hervorragend strukturierten VU-Parteisekretariats und der enormen Unterstützung durch die Jugendunion, die Frauenunion, die Seniorenunion, den Parteirat, die Ortsgruppen der Gemeinden und vieler anderer Personen und Institutionen konnten wir als Regierungskandidatenteam alles gut meistern. Es war eine wirkliche Teamleistung. Und dies wurde von den Wählerinnen und Wählern mit ihren Stimmen anerkannt. Verlässlichkeit, Stabilität und Sicherheit waren die Themen, die wir als Partei in den Vordergrund gestellt haben und die wir leben. Diese Werte sind in den gegenwärtig unsicheren Zeiten sehr wichtig. Gerade auch deshalb konnten wir das Vertrauen des Volkes gewinnen. Zudem glaube ich, dass unsere heutige Regierung unter der Führung der VU in den vergangenen vier Jahren solide Arbeit geleistet hat, was damit honoriert wird, dass der Vaterländischen Union auch für die kommenden Jahre das Vertrauen geschenkt wird. Viele Menschen haben in der Nachwahlbefragung angegeben, dass auch das Team der Regierungskandidaten wichtig für ihre Entscheidung gewesen war, was Hubert Büchel, Emanuel Schädler und mich freut. Liechtenstein möchte eine sachliche Politik, die das Land und seine Menschen ins Zentrum stellt.
Wie haben Sie das auf die Wahl folgende Sondierungsgespräch empfunden?
Wir als VU haben immer gesagt, dass nach den Wahlen der Erste mit dem Zweiten redet. Deshalb haben wir folgerichtig nach den Wahlen die FBP zum Sondierungsgespräch eingeladen. An diesem Gespräch wurden die Sichtweisen und Vorstellungen unserer beiden Seiten zu einer möglichen Zusammenarbeit in den nächsten vier Jahren in einer konstruktiven Atmosphäre ausgetauscht. Wie es weiter geht, werden wir ja in den nächsten Tagen erfahren.
Dass der neue Landtag Sie zur ersten Regierungschefin Liechtensteins wählen wird, gilt als höchstwahrscheinlich. Was bedeutet Ihnen dies persönlich?
Das bedeutet für mich eine grosse Ehre, die mir die Wählerinnen und Wähler mit ihrem Vertrauen zugesprochen haben. Ich freue mich auf mein neues Amt – gleichzeitig habe ich grössten Respekt vor dieser verantwortungsvollen Aufgabe, die ich mit Demut übernehmen darf.
Wie möchten Sie das Amt führen – Ihre Wahl vorausgesetzt – und welche politischen Ziele werden Sie verfolgen?
In diesen unsicheren Zeiten, die sich in den vergangenen Tagen und Wochen noch herausfordernder darstellen, ist umsichtiges Handeln wichtig. Dem werde ich mich gemeinsam mit meinem Team stellen. Ich möchte das Amt respektvoll und wertschätzend ausführen. Wichtig ist mir Sachpolitik, gepaart mit Weitsicht. Die innenpolitischen Ziele sind im Parteiprogramm der Vaterländischen Union vorgespurt, und sie orientieren sich an den Anliegen der Bevölkerung: gesunder Staatshaushalt, Gesundheitsversorgung und -kosten, Altersvorsorge oder Verkehr sind vorne mit dabei. Themen, die allen Parteien im Wahlkampf wichtig waren. Aussenpolitisch sind die Herausforderungen sehr gross. Als kleines Land ist es für Liechtenstein eminent wichtig, dass gemeinsam festgelegte Regeln und Institutionen von allen anerkannt werden. Liechtenstein muss und wird sich als verlässlicher Partner zeigen. Nur gemeinsam können wir den Herausforderungen begegnen.
Der neue Landtag mit einer gestärkten und einer geschwächten Volkspartei, einer starken und einer geschwächten Oppositionspartei ist anders zusammengesetzt, als es die meisten Politikinteressierten zuvor erwartet hätten. Inwiefern wird diese Zusammensetzung die Arbeit der Regierung beeinflussen?
Ich bin überzeugt davon, dass allen vier Parteien das Wohl unseres Landes am Herzen liegt und uns die gemeinsame Verantwortung für unser Liechtenstein vereint. Dazu braucht es eine konstruktive Zusammenarbeit in wichtigen Themen. Mehrheiten im Landtag können weiterhin gefunden werden, über die Parteigrenzen hinweg. Eine Opposition ist ein wichtiges demokratisches Element. Für die Regierung bedeutet das Erstarken der Opposition wahrscheinlich, Entscheidungen in gewissen Bereichen nochmals zu überdenken und anzupassen, in anderen Bereichen noch mehr Überzeugungsarbeit zu leisten.
Noch sind Sie Geschäftsführerin der Liechtensteinischen Industrie- und Handelskammer, kurz LIHK. Wie ist dort die Übergabe der Führungsverantwortung geregelt und wie sieht der Zeitplan aus?
Die LIHK ist gut aufgestellt mit einem aktiven Präsidenten, einem verantwortungsvollen Vorstand und einem motivierten Team. Derzeit ist nicht nur für mich, sondern auch für mein Team doppelte Anstrengung nötig, jedoch läuft insgesamt alles rund, und eine freudige Spannung ist spürbar. Mein grossartiges Team bei der LIHK unterstützt mich tatkräftig, zudem hat mir LIHK-Präsident Klaus Risch von Anfang an seine volle Unterstützung zugesagt. An dieser Stelle ein grosses Dankeschön an alle. Eine ideale Nachfolgeregelung ist aufgegleist und wird in den kommenden Tagen bekanntgegeben.
Wenn Sie einen Wunsch frei hätten für die Legislaturperiode 2025 bis 2029: Wie würde er lauten?
Ich wünsche mir, dass Verlässlichkeit, Stabilität und Sicherheit nicht nur bei uns, sondern in der Weltpolitik einkehren. Dies ist die Grundvoraussetzung für ein friedliches Miteinander, damit wir in einer geeinten, prosperierenden Welt leben können und unser lebenswertes Liechtenstein stark bleibt.
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