Symbolik statt Substanz – soziale und ökologische Fragen bleiben ungelöst
Vaduz, April 2025 – Der Koalitionsvertrag zwischen der Vaterländischen Union und der Fortschrittlichen Bürgerpartei zeigt in mehreren Bereichen Bemühungen um Stabilität, Sicherheit und wirtschaftliche Entwicklung. Als Freie Liste anerkennen wir positive Ansätze — insbesondere im Bereich der Nachhaltigkeit, sozialen Sicherheit und Bildung — und begrüssen die Bezugnahme auf die UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs). Dennoch ist der Vertrag zwischen den Koalitionsparteien geprägt von Verwaltungskontinuität, wirtschaftsliberaler Ausrichtung und unverbindlicher Symbolik.
Statt dem Mut für echte soziale und ökologische Reformen kündigt das Dokument eine maximal die Fortsetzung des bisherigen Kurses an — mit angezogener Handbremse. Aus Sicht der Freien Liste werden zentrale Zukunftsfragen wie Klimaschutz, soziale Sicherheit, Medienvielfalt und Mobilität nicht mit der nötigen Dringlichkeit und Konsequenz angegangen.
Sicherheit: Klimafolgen gehören auf die sicherheitspolitische Agenda
In puncto Sicherheit klammert der Koalitionsvertrag zentrale Herausforderungen der Zukunft aus: Durch den Klimawandel verursachte Extremwetterereignisse, Naturkatastrophen und die daraus resultierenden Folgen für Gesellschaft und Wirtschaft bleiben unerwähnt. Klimaschutz ist Sicherheitspolitik – das muss sich in Investitionen, Infrastruktur und Vorsorgestrategien widerspiegeln. Die akut angespannte Sicherheitslage wird nur einmal kurz erwähnt, es wird ihr weder genügend Rechnung getragen noch werden aussenpolitische Ziele genannt. Über die Pläne der Regierung im Umgang mit dieser Herausforderung bleibt die Bevölkerung im Dunkeln.
Verwaltung: Personalabbau und Digitalisierungshemmnis
Die Phrase, neue Stellen durch den Abbau an anderer Stelle zu kompensieren, wurde während dem Wahlkampf mehrfach bedient. Vorausschauende Personalpolitik sieht anders aus: Eine verlässliche öffentliche Verwaltung braucht Ressourcen, nicht ideologisch motivierte Einsparvorgaben. Auch bei der Digitalisierung dominieren Risiko-Rhetorik und Vorsicht, während Chancen und Zukunftspotenziale zu kurz kommen. Der Verweis auf «Überregulierung» bleibt unbelegt, konkrete Beispiele und eine sachliche Analyse fehlen.
Umwelt und Lebensraum: Viel Symbolik, wenig Substanz
Das Kapitel Umwelt und Lebensraum bleibt vage und unkonkret. Begriffe wie «notwendige Massnahmen», «werden geprüft» oder «werden gesichert» lassen keine klare politische Richtung erkennen. Statt ambitionierter Umweltziele bleibt es bei der Fortschreibung des Status quo.
Wirtschaft: Altbekannte Schlagworte
«Bürokratieabbau» als Dauerforderung bleibt auch hier inhaltsleer und zeugt von mangelndem Verständnis für die Schutzfunktionen vieler Regulierungen — etwa für Arbeitsrecht, Umweltschutz und Konsument:Innensicherheit. Eine zukunftsfähige Wirtschaft braucht kluge, faire und moderne Rahmenbedingungen. Im Bereich der Arbeitswelt wird auf liberale Bedingungen und niedrige Lohnnebenkosten gesetzt, ohne klare Aussagen zur Stärkung der Rechte von Arbeitnehmenden oder zur Bekämpfung von Lohndiskriminierung.
Energie: Technologieoffenheit heisst nicht automatisch Energiewende
Der Begriff «technologieoffen» ist irreführend: Er setzt klimaschädliche Technologien mit zukunftsfähigen gleich. Der «ausgewogene Energiemix» droht, fossile Energien weiterhin mitzuschleppen — ein gefährlicher Rückschritt. Die Energiewende muss konsequent auf erneuerbare Energien setzen und sozial gerecht ausgestaltet werden. Auch hier fehlt ein klares Bekenntnis, den Emissionsabsenkungspfad zur Erreichung der Ziele aus der Energie- und Klimastrategie 2030 und 2050 ernsthaft beschreiten zu wollen.
Medien- und Meinungsvielfalt: Wiederaufbau notwendig
Nach dem Wegfall öffentlich-rechtlicher und tagesaktueller Medien steckt Liechtenstein in einer medienpolitischen Krise. Aus dieser wieder herauszukommen wird eine innenpolitische Mammutaufgabe. Die Ankündigung der Koalition, «neue Massnahmen» ergreifen zu wollen, bleibt dafür zu vage. Die Freie Liste fordert einen strukturierten Wiederaufbau einer unabhängigen, vielfältigen Medienlandschaft — demokratisch legitimiert und langfristig gesichert.
Gesellschaft: Ja zur Beteiligung
Die geplante Jugendstrategie wird ausdrücklich begrüsst. Sie muss jedoch mit echten Beteiligungsrechten nach dem Kinder- und Jugendgesetz umgesetzt werden. Darüber hinaus fehlt ein klares Bekenntnis zur Gleichstellung und Antidiskriminierung von Frauen und marginalisierten Bevölkerungsgruppen. Das Verständnis von Vielfalt bleibt oberflächlich, während konservative Vorstellungen des «gesellschaftlichen Zusammenhalts» dominieren.
Gesundheit: Eigenverantwortung statt Versorgungsgerechtigkeit
Die angekündigte «Stärkung der Eigenverantwortung» ist ein Alarmsignal: Sie deutet auf Leistungskürzungen in der Grundversorgung hin und trifft vulnerable Gruppen besonders hart. Statt einer sozial gerechten Verteilung der Gesundheitskosten wird die Verantwortung auf die ohnehin überlasteten Versicherten abgewälzt. Positiv ist der Fokus auf Prävention, er muss aber mit konkreten Programmen verfolgt werden. Das bewährte Hausärzt:Innenmodell gehört eingeführt, nicht nur geprüft.
Sozialwerke und soziale Sicherheit: Finanzierung statt soziale Vision Armut, soziale Ungleichheit und Altersarmut finden im Vertrag kaum Beachtung. Die Reform der Sozialwerke wird primär unter dem Aspekt der Finanzierbarkeit betrachtet — nicht im Sinne der sozialen Absicherung. Es fehlen Massnahmen zur Stärkung existenzsichernder AHV-Renten, zur Besserstellung unterbrochener Erwerbsbiografien oder zur Reduktion des Gender-Pension-Gap.
Infrastruktur und Verkehr: widersprüchlich und mutlos
Statt einer klaren Strategie für nachhaltige Mobilität wird versucht, allen Interessen gerecht zu werden. Die Förderung des motorisierten Individualverkehrs mitsamt neuen Umfahrungsstrassen steht im Widerspruch zu Klimazielen und zur Reduktion des CO₂-Ausstosses. Ein klares Bekenntnis zu nachhaltiger, individueller Mobilität fehlt. Die bestehenden Konzepte (z. B. Mobilitätskonzept 2030) werden einfach fortgeschrieben — ohne neue Zielsetzungen. Von den vollmundigen Wahlkampfversprechen ist wenig übriggeblieben, stattdessen werden wir uns auf weitere vier Jahre Stillstand in der Verkehrspolitik einstellen müssen.
Bildung: Gute Ansätze mit Ressourcenbedarf
Die Ansätze in der Bildungspolitik — frühkindliche Förderung, lebenslanges Lernen sowie die Integration von psychischer Gesundheitsprävention und Digitalisierung in den Schulalltag — sind zu begrüssen. Sie müssen jedoch konkretisiert werden. (Flexible) Betreuungsangebote für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sollen nicht nur untersucht, sondern aktiv verbessert werden. Entscheidend wird dabei sein, dass die Lehrpersonen entlastet und der gesamte Bildungs- und Betreuungssektor mit den nötigen Ressourcen ausgestattet werden.
Fazit: Verwaltung statt Vision
Der Koalitionsvertrag 2025–2029 bleibt in vielen Bereichen unverbindlich und verwaltungsgetrieben. Statt mutiger Schritte zur Lösung der grossen Herausforderungen unserer Zeit werden altbekannte Rezepte, Prüfaufträge und technokratische Ansätze fortgeschrieben.
Die Freie Liste fordert:
- Verbindliche Klimaziele und klare Ausstiegspfade aus fossilen Energien
- Eine sozial gerechte Gesundheits- und Rentenpolitik
- Einen strukturellen Wiederaufbau der Medienvielfalt
- Klare Bekenntnisse zu Gleichstellung, Inklusion und demokratischer Beteiligung
- Ambitionierte Verkehrs- und Energiepolitik mit ökologischem Fokus
Nur mit echtem politischem Gestaltungswillen lassen sich Wohlstand, Demokratie und ökologische Lebensgrundlagen für künftige Generationen sichern. Freie Liste