Die Attraktivität von Ruggell als Wohngemeinde und Wirtschaftsstandort ist ungebrochen. Die Gemeinde unternimmt daher viel, um die Lebens- und Standortqualität zu erhalten oder gar noch zu steigern. Gleichzeitig ist sich Vorsteher Christian Öhri bewusst, dass starkes Wachstum auch grosse Herausforderungen mit sich bringt.
Interview: Heribert Beck
Herr Öhri, sie sind fast bei der Halbzeit Ihrer ersten Legislaturperiode als Gemeindevorsteher von Ruggell angelangt. Wie lautet Ihr Fazit bei einem Blick zurück und wie gestaltet sich die Zusammenarbeit im Gemeinderat?
Christian Öhri: Mein Fazit fällt sehr positiv aus. Ohne Unterbruch konnten der Gemeinderat und ich alle wichtigen Projekte wie beispielsweise die neue Fussgänger- und Radverkehrsbrücke Sennwald-Ruggell, das Judozentrum oder die Verwirklichung des Generationenhauses vorantreiben und auch neue Projekte in Angriff nehmen wie die Sanierung der Sennerei und des Vereinshauses – um nur einige zu nennen. Im Gemeinderat wird sehr konstruktiv im Sinne und zum Wohle der Gemeinde zusammengearbeitet. Es finden gute, zum Teil auch rege Diskussionen statt. Man hört aufeinander und geht aufeinander ein, sodass die besten Lösungen für unsere Gemeinde gefunden werden.

In Sachen Lebensqualität konnten Sie sich bei Ihrer Amtsübernahme am 1. Mai 2023 auf zahlreiche Vorarbeiten stützen, die Sie bereits als Gemeindesekretär begleitet haben, anderes ist inzwischen neu entstanden. Starten wir den Überblick bei den Jüngsten: 2018 war Ruggell die erste «Kinderfreundliche Gemeinde» des Landes. Was ist seither in dieser Hinsicht geschehen und was ist derzeit sowie in Zukunft geplant?
Seit dem Erhalt des Labels im Jahr 2018 konnten zahlreiche Projekte und Massnahmen im Sinne der Kinder und Jugendlichen erfolgreich umgesetzt werden. So entstand beim Freizeitpark Widau auf Anregung der Kinder ein Spielplatz für ältere Kinder, der sich einer grossen Beliebtheit erfreut. Die Pumptrackanlage wiederum entwickelte sich zu der meistgenutzten Anlage in der Gemeinde, und durch die angebotenen Fahrschulungen kann diese sicher genutzt werden. Die Gemeinde Ruggell konnte über die vergangenen Jahre ein starkes Bevölkerungswachstum verzeichnen. Vor allem für Familien hat sich Ruggell zu einer beliebten Wohngemeinde entwickelt. Aktuell legen wir einen besonderen Fokus auf die Jugendlichen. Mit dem Jugendraum haben wir einen beliebten Treffpunkt, der am Wochenende von bis zu 40 Jugendlichen besucht wird. Mit der Fertigstellung des Skaterplatzes erhält diese Altersgruppe einen weiteren Treffpunkt in der Gemeinde. Generell pflegen wir auch einen intensiven Austausch mit anderen kinderfreundlichen Gemeinden und den verschiedenen Institutionen und Organisationen. Besonders wichtig ist uns, dass Kinder und Jugendliche von Beginn an in alle Projekte einbezogen und aktiv gehört werden.

Die Seniorenkoordinationsstelle betreibt Ruggell seit einigen Jahren mit den Nachbargemeinden Gamprin und Schellenberg. Was umfasst dieses Angebot und wie wird es genutzt?
Seit 2022 bietet die Seniorenkoordination kostenlose Beratungen für ältere Menschen, deren Angehörige und Bezugspersonen. Gemeinsam werden individuelle Lösungsansätze entwickelt, finanzielle Fragen geklärt, Kostenschätzungen erstellt und Anträge vorbereitet. Dabei vernetzt die Seniorenkoordination die Betroffenen mit den zuständigen Institutionen und unterstützt bei behördlichen Abklärungen oder Behördengängen. Sie berät die Gemeinden bei altersrelevanten Projekten. Die Beratungs- und Anlaufstelle wird rege genutzt. Zudem plant und organisiert sie mit den freiwilligen RuGaSch-Engagierten Aktivitäten und Anlässe, um soziale Treffpunkte zu schaffen, den Austausch zu fördern und die Bevölkerung einzubinden. Die zahlreichen Aktivitäten und Anlässe werden gut besucht und bereichern das Angebot für ältere Menschen. Alle sind herzlich willkommen – sei es als Gast oder als Mitgestaltende.
Die Anlaufstelle nicht nur für die ältere Generation, sondern für alle Einwohnerinnen und Einwohner von Ruggell ist das Rathaus, dessen Öffnungszeiten Anfang 2025 angepasst worden sind. Was hatte es mit dieser Massnahme auf sich?
Die grösste Veränderung bei den Öffnungszeiten vorweg: Wir haben am Freitag neu durchgehend von 8.30 bis 13 Uhr geöffnet. Am Freitagnachmittag bleibt das Rathaus geschlossen. Dazu geführt hat, dass wir einerseits über eine Zählung festgestellt haben, dass die Laufkundschaft im Rathaus immer mehr zurückging – besonders am Freitagnachmittag bewegten sich die Zahlen über mehrere Monate hinweg auf sehr tiefem Niveau. Dies liess sich auf diverse Veränderungen im Angebot, aber auch auf das veränderte Bedürfnis der Bevölkerung zurückführen. Viele Anfragen und Anliegen werden telefonisch oder schriftlich bei der Gemeindeverwaltung eingereicht. Und damit sind wir bereits beim «Andererseits»: Unsere Mitarbeitenden, besonders im Kanzlei- und Empfangsteam, sind durch ihre vermehrten Arbeiten im Hintergrund stärker eingebunden. Daher haben wir uns entschieden, die Schalteröffnungszeiten etwas zu kürzen und somit dem veränderten
Besuchsverhalten der Bevölkerung, aber auch der Effizienz und Zufriedenheit unserer Mitarbeitenden gerecht zu werden. Trotzdem ist es uns wichtig, vollumfänglich für alle da zu sein. Deshalb haben wir mit dem Freitagmittag nach wie vor zu einer Randzeit geöffnet. Und natürlich kann auch in sämtlichen Abteilungen auf Anfrage immer ein Termin abgemacht werden.
Dem Namen nach zu urteilen, spricht auch das Generationenhaus die gesamte Bevölkerung an. Was umfasst das geplante Angebot alles und wie sieht der Fahrplan für den Bau aus?
Die Vorbereitungsarbeiten für das Ruggeller Generationenhaus starten in diesem November, und der Rohbau soll bis Oktober 2026 fertiggestellt sein. Die beiden Baukörper sind dann gemäss heutiger Planung im Herbst 2027 bezugsbereit. In diesen werden zwölf altersgerechte beziehungsweise barrierefreie Wohneinheiten mit 2,5- und 3,5-Zimmern realisiert. Im Erdgeschoss des einen Gebäudes soll eine Gemeinschaftspraxis einziehen, für die wir aktuell aktiv auf der Suche nach interessierten Ärztinnen und Ärzten sind. Im anderen Gebäude wird auf zwei Stockwerken die Tagesstruktur für 30 Kinder umgesetzt. Dies, weil die aktuellen Räumlichkeiten im Schulgebäude bereits seit Längerem an ihre Kapazitätsgrenzen stossen. Als weiteres Angebot wird auch eine Physiotherapie im Generationenhaus einen Platz finden. Ausserdem ist ein Gemeinschaftsraum für alle Nutzergruppen angedacht.

Bei der Senkung des Gemeindesteuerzuschlags hat sich Ruggell für eine schrittweise Lösung entschieden. Er soll weiterhin um 5 Prozent pro Jahr reduziert werden, bis 150 Prozent erreicht sind. Wie geht die Rechnung auf?
Wir hatten nun zweimal hintereinander das grosse Glück, dass die Steuereinnahmen wesentlich höher ausgefallen sind als gedacht, was aber auch dazu geführt hat, dass wir zweimal hintereinander keinen Finanzausgleich erhalten haben, was den Mindestfinanzbedarf anbelangt. Dies ist aus meiner Sicht auf unseren gut aufgestellten und breit diversifizierten Wirtschaftsstandort zurückzuführen, der auch staufrei gut erreichbar ist. Die höheren Einnahmen waren für mich ein Karma-Effekt: Grosse, notwendige Ausgaben konnten wir mit höheren Einnahmen gut decken. Ich bin froh, dass ich mit der schrittweisen Senkung des Steuersatzes parallel einen guten Kompromiss vorschlagen konnte, der einen breiten Anklang gefunden hat. Im nächsten Jahr steht als für den Moment letztes grosses, planbares Bauprojekt das Abwasserentlastungsbauwerk im Spidach mit neuen Zuleitungen im Umfang von 2,4 Millionen Franken an. Gleichzeitig gehen wir davon aus, dass wir für das Steuerjahr 2026 oder allerspätestens 2027 den Mindestgemeindesteuerzuschlag von 150 Prozent erreichen werden.


Ein weiteres Thema, das die Ruggeller Bevölkerung, aber nicht zuletzt auch Gäste von ausserhalb bewegt, sind die zahlreichen Tempo-30-Tafeln in den Quartieren. Was hat es mit den 30er-Zonen auf sich und wie sind die bisherigen Erfahrungen sowie Rückmeldungen?
Die Tempo-30-Zonen waren bei uns bereits vor einigen Jahrzehnten in Planung. Da eine flächendeckende Einführung von Tempo 30 keine Zustimmung gefunden hat, beschloss der Gemeinderat, eine Meinungsumfrage durchführen zu lassen, sodass jene Gebiete evaluiert werden konnten, in denen sich die Mehrheit der Anwohner für die Einrichtung einer Tempo-30-Zone ausgesprochen hat. Folglich wurden in den Jahren 2023 und 2024 die Zonen nur in diesen betroffenen Strassenzügen realisiert, was natürlich viel mehr Tafeln benötigt als eine flächendeckende Lösung. Mit diesem Vorgehen konnte aber eine grosse Akzeptanz geschaffen werden. Lediglich ein paar Anregungen zum Standort der Stelen wurden eingebracht, was auch schon zu einzelnen Verbesserungsmassnahmen geführt hat. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich der aufwendige
Entstehungsprozess gelohnt hat und die Tempo-30-Zonen in den entsprechenden Gebieten sehr gut angenommen wurden – dies im Sinne einer Verbesserung der Lebensqualität und Schulwegsicherheit.

Mit Regeln gelenkt werden müssen nicht nur Autofahrer, sondern auch die Besucher des Ruggeller Riets, da sich immer wieder Spaziergänger in gesperrte Bereiche des Naturschutzgebiets begeben. Wie möchten Sie dies in den Griff bekommen?
Das Ruggeller Riet ist Heimat für viele seltene Pflanzen und bietet einen wertvollen und idealen Lebensraum für gefährdete Tiere. Um dieses Naturschutzgebiet zu bewahren, ist es entscheidend, dass alle Besucher die Regeln einhalten. Um eine Besucherlenkung zu erreichen, werden die Fussgängerinnen und Fussgänger neu mittels Beschilderungen und Barrieren auf das korrekte Verhalten und auf Betretungsverbote im Naturschutzgebiet aufmerksam gemacht. Dafür wurden bei den Zugängen zu verschiedenen Vogelbrutzonen hölzerne Barrieren mit Hinweisen auf das Betretungsverbot errichtet. Als weitere Massnahme werden bei den Zugängen zum Ruggeller Riet allgemeine Informationstafeln platziert, die auf das korrekte Verhalten und auf die sensible Natur aufmerksam machen. Besucher werden so aufgefordert, auf den Wegen zu bleiben und ihre Hunde an der kurzen Leine zu führen. Zudem ist es wichtig, alle Pflanzen und Tiere unberührt zu lassen. Abfälle sind in den dafür vorgesehenen Mülleimern zu entsorgen.

Das Riet macht bekanntlich nicht an der Landesgrenze halt. Wie sieht die diesbezügliche Zusammenarbeit mit der Stadt Feldkirch aus?
In den vergangenen Jahren konnten wir wiederholt beobachten, dass Personen über die grüne Grenze beim Hasabach ins Ruggeller Riet gelangen. Da sich dort Vogelbrutschutzzonen befinden, wird dadurch die Natur erheblich gestört. Aus diesem Grund wurden bei den betroffenen Grenzübergängen Verbotsschilder angebracht. Ebenfalls werden unbefugt errichtete Brücken über den Hasabach regelmässig entfernt. Diese Massnahmen erfolgen in intensiver und sehr guter Zusammenarbeit mit der Stadt Feldkirch. Anfang April fand eine gemeinsame Begehung des Ruggeller Riets statt, bei der auch die Problematik der unerlaubten Grenzübergänge besprochen wurde. Während der Blütezeit der Schwertlilien wird zudem die gemeinsame Kommunikation zu den Verhaltensregeln im Naturschutzgebiet verstärkt.
Welche weiteren Ziele – neben den angesprochenen – haben sie für die zweite Hälfte der Legislaturperiode 2023 bis 2027?
Mit dem neuen Generationenhaus, dem Alters- und Pflegeheim der LAK und dem SZU II entstehen die drei grössten Gebäude in unserer Gemeinde. Es stellt sich also die Frage: Wie wirken sich diese drei Gebäude auf den Ruggeller Dorfcharakter aus? Ein wichtiges Schwerpunktthema in diesem Zusammenhang wird es in den kommenden zwei Jahren daher sein, ob und wie wir weiter wachsen sollen. Dazu läuft ein spannendes Projekt mit der Universität Liechtenstein, die uns bei der Zentrumgestaltung und der Gestaltung der zukünftigen Dorfstrasse mit vielen neuen und kreativen Ideen begleitet. Aber haben wir überhaupt ein Zentrum und brauchen wir eines? Zudem sind wir eine der wenigen Gemeinden, die staufrei ist, und dies möchten wir auch bleiben. Einige Inputs dazu bekamen wir schon im letzten Jahr beim Bevölkerungsworkshop. Nun gilt es, gemeinsam eine langfristige Perspektive für die Entwicklung unserer Gemeinde zu schaffen.


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