Vor 100 Jahren wurde der Liechtensteiner Theologe und Philosoph P. Fridolin Marxer geboren.
Text: Stefan Hirschlehner
Im Bücherregal seines Arbeitszimmers im Borromäum in Basel standen die Klassiker der Philosophie: Platon, Aristoteles, Augustinus, Thomas von Aquin, Kant, Marx, Heidegger, Sartre. An den Wänden hingen Porträts von Meryl Streep, Michael Douglas und Christopher Lambert. Und zwischen diesen Polen, zwischen Philosophie und modernem Film, dachte und schrieb der Liechtensteiner Theologe Pater Fridolin Marxer.
Am 12. März 1925 wird Fridolin Marxer geboren, also vor genau 100 Jahren. Nach der Schulzeit in Mauren und Vaduz tritt er 1946 in den Jesuitenorden ein und studiert Philosophie und Theologie in München, Lyon und Rom. In Rom promoviert er mit der Arbeit «Die inneren geistlichen Sinne. Ein Beitrag zur Deutung der ignatianischen Mystik». Erschienen ist das Werk 1963 im renommierten Herder-Verlag. Mit dieser Studie hat er sein theologisches Lebensthema gefunden: die Bedeutung der Spiritualität für ein christliches Leben. Die Priesterweihe empfängt Fridolin Marxer im Juni 1956. 34 Jahre lang ist er in Basel als Philosophie- und Religionslehrer tätig. Von 1982 bis 1989 nimmt er auch ein Teilzeitpensum für Philosophie am Liechtensteinischen Gymnasium wahr. Im Jahr 1995 beendet P. Fridolin Marxer seine Unterrichtstätigkeit, im März 2009 verstirbt er nach längerer Krankheit im 84. Lebensjahr.


Heimatverbunden
P. Fridolin Marxer war seiner Herkunftsfamilie zeitlebens sehr verbunden. Gerne besuchte er die Familie seiner Schwester Maria in Schaan und seine Verwandten in Mauren. Immer wieder half er auch in der Pfarrei Mauren und Schaanwald aus. Dass er in seiner Heimat ein geschätzter Seelsorger war, zeigte sich anlässlich seines Goldenen Priesterjubiläums am 25. Juni 2006. Zahlreiche Verwandte und Bekannte nahmen daran teil.
«Lesen, lesen, lesen und schreiben»
P. Fridolin Marxer war ein rationaler Mensch, ein philosophischer Theologe. Sein Bestreben war es, die Themen des Glaubens mit den Mitteln der Vernunft einsichtig zu machen. Dazu studierte er die grossen Denker der abendländischen Theologie- und Philosophiegeschichte. Und er verband seine rationalen Überlegungen mit den Erfahrungen der Literatur, insbesondere der französischen und der russischen, für die er sich speziell interessierte. In einem «Volksblatt»-Interview aus dem Jahr 1996, da war er immerhin 71 Jahre alt, antwortete er auf die Frage, was er den ganzen Tag so mache, mit: «Lesen, lesen, lesen und schreiben.» Und sein Mitbruder P. Eugen Frei schrieb: «Wenn er in die Sommerferien ging, meistens in ein Jesuitenhaus in Sardinien oder in Istrien/Kroatien, packte er in seinem Koffer dicke Bücher ein, die er lesen wollte und auch las.»

Acht Bücher verfasst
Sein intellektuelles Interesse galt der philosophisch-theologischen Bildung. Die Frage nach Gott beschäftigte ihn intensiv, ebenso die Frage, was religiöse Erfahrung ausmacht, wie ein christlicher Lebensstil aussehen könnte und vieles mehr. Dass er nicht weltfremd in seiner Klosterzelle dachte und schrieb, sondern sich mit den Fragen seiner Mitmenschen auseinandersetzte und sie in seine Überlegungen einfliessen liess, geht auch daraus hervor, dass die meisten seiner acht Bücher aus den vielen Vorträgen entstanden sind, die er in der Erwachsenenbildung hielt.
Das Interessensgebiet von P. Fridolin Marxer war sehr breit. Das zeigt sich insbesondere an den beiden Büchern, die er mit seinem ehemaligen Schüler, dem Physiker Andreas Traber, publizierte. «Gottes Spuren im Universum. Christliche Schöpfungsmystik und moderne Physik» und «Wiedergeburt: Hoffnung oder Illusion».
Seine Bücher sind auch heute noch lesenswert. Sie berühren die Probleme unserer Zeit. So beschreibt er in seinem 1980 erschienen Buch «Die Infragestellung Gottes. Antwort auf die Provokation des Atheismus», wie sich der ursprünglich theoretisch fundierte Atheismus der Moderne, den nur eine intellektuelle Minderheit vertrat, zu einem praktischen Atheismus für immer mehr Menschen ausweitete. Die säkulare Weltanschauung der Gegenwart begründet sich, so P. Fridolin Marxer, nicht mehr theoretisch. Sie wird praktisch gelebt, d. h. in der Lebenseinstellung vieler Menschen verlieren Religion und Kirche immer mehr an Bedeutung, ihr Bewusstsein ist geprägt von einer Gleichgültigkeit gegenüber religiösen Fragen. Das ist für die Kirche wie für die Theologie eine enorme Herausforderung, ist doch mit Menschen, die ohne Interesse gegenüber der Gottesfrage sind, ein Dialog über religiöse Themen nur schwer möglich.
Gibt es ein Gegenmittel gegen diese Indifferenz? Rationale theologische und philosophische Überlegungen allein führen diesbezüglich nicht weiter. Sie sind nötig und bedeutsam, bleiben aber im «Vorraum des Glaubens» (Fridolin Marxer). Wenn «nichts fehlt, wenn Gott fehlt», wenn ein säkulares Bewusstsein vorherrscht und der Zeitgeist «religiös unmusikalisch» geworden ist, dann benötigt es nach P. Fridolin Marxer Erfahrungen, die eine «religiöse Unruhe» zulassen. Es gilt, die in sich verschlossene Welt aufzubrechen und die Sehnsucht nach Transzendenz, nach dem ganz anderen zu wecken.
Spirituelle religiöse Erfahrungen zu ermöglichen, das ist das Stichwort, das die Arbeiten von P. Fridolin Marxer leitet. Was sie bedeuten und vor allem, wie es zu solchen Erfahrungen kommen kann, das zeigt er in seinen Büchern «Der Weg zu Gott», «Kehr ein in dein Herz: Augustinus, Pascal, Newman» und «Die mystische Erfahrung» auf.
Filmfachmann
Für P. Fridolin Marxer verlief der Weg zur religiösen Erfahrung aber nicht allein über Theologie und Kirche. Eine Möglichkeit, die für ihn bedeutend und hilfreich war, war diejenige über das Medium Film. Filme waren für ihn Kultur, lebendige Wirklichkeit, Ausgangpunkt für ein vertieftes Nachdenken über Gott und die Welt. 40 Jahre lang, von 1966 bis 2006, organisierte er zusammen mit Gymnasiasten im Filmstudio «Borromäum» alljährlich mehrere Filmzyklen. Sie trugen Namen wie «Zwischen Phantasie und Wirklichkeit“, «Die Frau im Film», „Menschen am Rande der Gesellschaft», «Vom Ich zum anderen», «Kriminalfilm als Gesellschaftsspiegel» «Mythos der starken Männer» oder «Liebe in verschiedenen Gestalten». Und P. Marxer führte jeweils in die Filme ein. Besonders schätzte er die Werke von Michelangelo Antonioni, Federico Fellini, Lucino Visconti, Ingmar Bergman und Luis Buñuel. Das Medium Film bot P. Fridolin Marxer eine nachhaltige und tiefgehende Möglichkeit, über die grossen Fragen des menschlichen Daseins zusammen mit jungen Menschen nachzudenken. Und wie er in seinen Büchern immer auch die Auseinandersetzung mit denjenigen Denkern suchte, die seiner
Glaubenseinstellung entgegenstanden, so scheute er sich auch nie, Filme zu zeigen, die sich kritisch mit den Inhalten des Christentums auseinandersetzen.
«Für einen gescheiten Katholizismus»
P. Fridolin Marxer war ein intellektueller Seelsorger. Sehr präzise drückte dies sein Mitbruder Franz-Xaver Hiestand SJ in seinem Nachruf auf P. Fridolin Marxer aus: «Vielleicht wird die Kirchengeschichte die Jahrzehnte nach dem 2. Vatikanischen Konzil dereinst auch als Epoche charakterisieren, in welcher sich tief humane Seelsorger darin aufrieben, den nachfolgenden Generationen die christlichen Mysterien neu zu erschliessen. Marxer könnte dann als typischer Vertreter solcher Seelsorger-Persönlichkeiten gelten. In den Augen von Statistikern, welche bloss darauf achten, wie viele brave Kirchenschäfchen ein katholischer Hirte gehütet, geformt oder sogar produziert hat, mag er brutal gescheitert sein. Doch zum Aufleuchten eines gescheiten, dialogfähigen und menschenfreundlichen Katholizismus hat er Wesentliches beigetragen.»
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