Julia Weissenhofer aus Eschen ist 17 Jahre jung und hat sich voll und ganz dem Kunstturnen verschrieben. Sie ist in der 6. Klasse des Sportgymnasiums Dornbirn und widmet sich seit 2024 im Olympiazentrum Dornbirn in durchschnittlich 25 bis 26 Stunden pro Woche mit grossem Fleiss, Begeisterung, Disziplin und Ehrgeiz dem Kunstturnen. Soeben ist die liechtensteinische Sportlerin des Jahres 2024 von den Europameisterschaften im Kunstturnen aus Leipzig (D) zurückgekehrt. Sie turnte dort sehr erfolgreich mit dem 37. Rang im Mehrkampf sowie dem 17. Rang im Sprung. Wir blicken mit Julia hinter den herausfordernden Alltag im Spannungsfeld zwischen Ausbildung und Spitzensport.
Interview: Johannes Kaiser
Julia, du bist im Herbst letzten Jahres an der grossen Sportlergala des liechtensteinischen «LLB Sportawards 2024» als jüngste Athletin zur Sportlerin des Jahres 2024 erkoren worden. Was ist dies für ein Gefühl?
Julia Weissenhofer: Ich hatte nie damit gerechnet, als Sportlerin des Jahres 2024 ausgezeichnet zu werden. Es war eine unglaubliche Ehre für mich, diesen Preis in Empfang nehmen zu dürfen. Es hat mich extrem gefreut, und diesen Abend werde ich nie vergessen.
Wie bist du zum Kunstturnen gekommen?
Ich habe mit sechseinhalb Jahren bei Dagmar Pavlickova vom TV Eschen-Mauren mit Kunstturnen begonnen. Eigentlich mindestens schon zwei Jahre zu spät. Mit 9 Jahren schaffte ich den Sprung ins Regionale Leistungszentrum in Wil. Dort trainierte ich bereits fünfmal pro Woche. Mein damaliger Trainer meinte bei einem Elterngespräch, ich sollte doch besser ins Leichtathletik wechseln. Ich liess mich aber nicht von meinem Weg abbringen. Ein paar Jahre später hat er sich dann für diese Aussage entschuldigt. Mit elfeinhalb Jahren entschied ich mich, bei einer Gastfamilie in der Nähe von Wil zu wohnen. Mit dem Übertritt in die weiterführende Schule hätte ich sonst mit dem Kunstturnen auf diesem Niveau aufhören müssen, da ich nicht genug Freistunden vom Schulamt erhalten hätte. Ich hatte extremes Glück und kam in eine tolle Gastfamilie, und ich hatte auf einmal zwei jüngere «Geschwister». Diesen Entscheid habe ich nie betreut, auch wenn es zu Beginn hart war, da ich nur noch am Mittwochnachmittag und am Wochenende ab Samstagnachmittag zu Hause sein konnte.

Gibst du uns einen Einblick in deine junge Karriere als Kunstturnerin?
Diese Entscheidung zahlte sich aus und ich arbeitete mich immer näher an die besten Kunstturnerinnen der Schweiz heran. Dann kam die Coronazeit. Ich musste zu Hause trainieren, da alle Leistungszentren der Schweiz zu der Zeit geschlossen waren. So trainierte ich mit meiner Mutter zu Hause, zwei bis drei Stunden pro Tag und dies sechsmal in der Woche. Wir hatten selbst einen Schwebebalken, und Matten bekamen wir aus der Turnhalle. Die Trainerin Eszter Kissne nahmen wir zweimal pro Woche per Zoom hinzu. Ich kam gestärkt aus dieser Zeit. 2022 schaffte ich mit meinem damals neuen Trainer Johannes Schmid die Qualifikation für die EYOFs. Kurz darauf durfte ich an der Junioren EM in München teilnehmen.
2023 folgten einige Verletzungen, die ich zuerst ausheilen lassen musste. 2024 nahm ich mit meinen neuen Trainer Sergej Slastnych erstmals an einem Worldcup in Kroatien bei der Elite teil. Auf Anhieb schaffte ich es dort ins Sprungfinale. Dort belegte ich den 8. Rang, was mich sehr stolz machte, da ich aus einer Verletzung kam. Danach folgte die EM in Rimini – meine erste bei der Elite. Hinzu kamen noch weitere gute Resultate an den Schweizermeisterschaften, in der 1. Deutschen Bundesliga und der St. Galler Kantonalmeistertitel.
Im Juli 2024 wechselte ich ins Olympiazentrum Dornbirn zum Trainerpaar Katerina und Daniel Rexa. Ich wurde dort herzlich aufgenommen und ich fühle mich sehr wohl. Dort konnte ich einen weiteren Schritt in meiner Entwicklung machen und mich turnerisch und körperlich nochmals verbessern.
In diesem Jahr war ich im April am Worldcup in Antalya und schaffte auch dort den Schritt ins Sprungfinale. Im Finale belegte ich den 7. Rang und schaffte mit den Punkten aus dem Mehrkampf in Antalya die Qualifikation für die diesjährige EM in Leipzig, dem ersten grossen Saisonhöhepunkt dieses Jahres.

Diese jugendlichen Sportstationen und Meilensteine zeugen von einer bemerkenswerten Fokussierung, Disziplin und leidenschaftlicher Begeisterung.
Kunstturnen ist eine Sportart, in der die Athleten oft an ihre Grenzen gehen. Nach etlichen Verletzungen musste ich lernen, sehr gut auf meine Körper zu hören und ihn zu pflegen. Schwierig waren auch die vielen Trainerwechsel in meiner jungen Karriere. Es benötigt immer wieder Zeit, bis man sich gegenseitig kennt und weiss, wie man tickt und bis so das nötige Vertrauen aufgebaut ist. Mein Weg zeigt, dass man mit Fleiss, Begeisterung, Durchhaltewillen und Ehrgeiz auch in diesem Sport erfolgreich sein kann, auch wenn man von den körperlichen Voraussetzungen vielleicht nicht von Anfang an als grosses Talent angesehen wird.
Eine Sportart so intensiv zu leben, benötigt neben dem Talent, viel Einsatz, Training, mentale Stärke und sicher auch Wettkampfglück? Wie sieht ein Jahresplan bei dir aus und was bedeutet dies an durchschnittlichem Zeitaufwand pro Woche?
Zuerst legen wir pro Jahr die grossen Wettkämpfe wie EM, WM und zwei bis drei Worldcups fest. Hinzu kommen noch die Österreicher und Schweizer Meisterschaften sowie ein bis zwei kleinere Wettkämpfe. Pro Woche trainiere ich im Durchschnitt 25 bis 26 Stunden – aufgeteilt auf: Training an den Geräten, Choreo, Beweglichkeit, Krafttraining, Athletics Training, Ballett und Ausdauer.
Michaela Bill Kampfrichterin, Julia Weissenhofer
und Katerina Rexa, Trainerin
Du bist in der 6. Klasse des Sportgymnasiums in Dornbirn. Wie schaffst du die Doppelbelastung Schule und Leistungssport?
Mein Stundenplan ist sehr gut auf die Trainingszeiten abgestimmt. Der Grossteil der Lehrerschaft hat selbst Sport gemacht, und so hat sie viel Verständnis für uns Sportler. Bei Lernproblemen bekommen wir individuelle Lernunterstützung. Auf diese Weise lässt sich der Leistungssport zusammen mit der Schule überhaupt erst bewerkstelligen.
Welche sportlichen Höhepunkte und Erfolgserlebnisse machen dich besonders stolz?
Im Kunstturnen hatte es noch keine Turnerin aus Liechtenstein geschafft, international zu turnen. Ich durfte etliche Wettkämpfe als erste Liechtensteinerin bestreiten und so liechtensteinische Turngeschichte schreiben. Die Wahl zur Sportlerin des Jahres 2024 ist dabei ein total motivierendes und erfüllendes Erlebnis.
Wie ist die Förderung von Sporttalenten – wie du es bist – in Liechtenstein organisiert?
Dem Liechtensteinischen Turnverband ist es nicht möglich, für alle anfallenden Kosten – vor allem für die internationalen Wettkämpfe – aufzukommen. Diese Teilnahmen sind nur dank grosszügiger Sponsoren und Gönner möglich. Weiter bin ich im Olympic Potential Team des LOC und werde dadurch auch noch finanziell unterstützt.

Wenn man eine Sportart wie Kunstturnen mit dieser Intensität und dieser Präzision ausführt, ist dies eine Lebensschule sowie besondere Persönlichkeitsbildung.
Kunstturnen ist meine Leidenschaft! Es lehrt mich Disziplin, Geduld und Zielstrebigkeit sowie den Umgang mit Rückschlägen. Es ist ein Weg, mich selbst besser kennenzulernen, meine Grenzen zu verschieben und an mir zu arbeiten – Tag für Tag.
Welche persönlichen und beruflichen Ziele strebt eine so erfolgreiche Kunstturnerin an?
Mein grosses Ziel ist die Teilnahme an den Olympischen Spielen 2028 in Los Angeles. Was ich beruflich machen werde, weiss ich noch nicht. Es hat aber sicher etwas mit Sport zu tun.
Danke, Julia für dieses interessante und sehr sympathische Gespräch.
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