Regierungsrat Daniel Oehrys Ziel ist es, Liechtenstein als Lebensraum
und Standort weiter zu stärken. In seinen Aufgabenbereichen Infrastruktur und Bildung steht er dabei vor nicht unerheblichen Herausforderungen. Er hat aber auch konkrete Pläne, wie er sie angehen möchte, und sagt: «Die Menschen sollen spüren, dass wir nicht nur verwalten, sondern gestalten.»
Interview: Heribert Beck
Herr Regierungsrat, Sie sind nun seit zwei Monaten im Amt. Wie haben Sie diese Zeit der Einarbeitung erlebt und welches waren die drängendsten Aufgaben?
Regierungsrat Daniel Oehry: Eine wirkliche Einarbeitungszeit gibt es für dieses Amt nicht. Mit der Wahl durch den Landtag wird man zum Regierungsmitglied. Am Donnerstag die Angelobung, am Freitag die erste Regierungssitzung – die Lernkurve ist entsprechend steil. Ohne die engagierte Unterstützung der Mitarbeitenden im Ministerium sowie in der Landesverwaltung wäre die Einarbeitung kaum zu bewältigen gewesen. Die Tage begannen früh und endeten oft spät in der Nacht. Tagsüber standen zahlreiche Meetings mit Amtsleitungen und Projektgruppen an, abends folgten die Sichtung von Dossiers und die Vorbereitung kommender Sitzungen. In dieser intensiven Anfangszeit fanden zudem Kennenlerntermine mit sämtlichen Mitarbeitenden der Bereiche Infrastruktur und Bildung statt. Ein weiterer Fixpunkt war beziehungsweise ist die wöchentliche Vorbereitung der Regierungssitzung – denn was bis Freitag um 10 Uhr nicht eingereicht ist, wird am darauffolgenden Dienstag nicht in der Regierungssitzung behandelt. Und nur, was zweimal in der Regierung besprochen wurde, gelangt überhaupt an den Landtag. Rückblickend erscheint dies alles logisch, doch die Menge und die Geschwindigkeit der Themen ist herausfordernd.
Ich bin davon ausgegangen, dass mir meine acht Jahre im Landtag einen gewissen Startvorteil verschaffen würden – was teilweise auch zutraf. Dennoch ist es ein erheblicher Unterschied, ob man als eines von 25 Mitgliedern Fragen stellt oder als eines von fünf Regierungsmitgliedern Antworten liefern darf. Erst mit der neuen Verantwortung wurde mir bewusst, wie viele Prozesse und Ressourcen im Hintergrund nötig sind, damit etwa ein Vernehmlassungsbericht oder ein Bericht und Antrag entstehen kann. Auch der Aufwand für die Beantwortung parlamentarischer Anfragen ist beachtlich – rückblickend habe ich mich mit einem Augenzwinkern für einige meiner eigenen Anfragen bei meinem Team entschuldigt.
Nach der ersten intensiven Phase sind wir nun daran, die zentralen Projekte für die nächsten vier Jahre zu definieren, damit diese ins Regierungsprogramm aufgenommen werden können. Ziel ist es, mit Weitblick zu planen und Schwerpunkte zu setzen, die Liechtenstein als Lebensraum und Standort weiter stärken.
Wie verläuft die Zusammenarbeit in der Koalitionsregierung?
Wir pflegen einen offenen Austausch und diskutieren unsere Standpunkte konstruktiv. Diese Zusammenarbeit macht Freude – sie motiviert mich, täglich mein Bestes für Liechtenstein zu geben. Es ist mir ein grosses Anliegen, im Ministerium für Infrastruktur und Bildung einen aktiven Beitrag zur positiven Entwicklung unseres Landes zu leisten. Die unterschiedlichen Perspektiven innerhalb der Koalition führen zu lebendigen Debatten, aber auch zu tragfähigen Lösungen.
Mit Bildung und Infrastruktur – inklusive Verkehr – haben Sie zwei Bereiche übernommen, für die Sie sich bereits im Landtag engagiert haben. Waren das Ihre Wunschressorts?
Ich wurde vor den Koalitionsverhandlungen gefragt, welche Bereiche ich gerne übernehmen würde – und genau diese habe ich auch erhalten. Deshalb kann ich klar sagen: Ja, ich habe meine Wunschressorts bekommen. Ich bin sehr dankbar, dass ich mich jetzt genau in jenen Bereichen engagieren darf, in die ich bereits in der Vergangenheit viel Herzblut investiert habe.
Welche grösseren Projekte stehen im Bildungsbereich mittel- und langfristig an?
Alle Branchen stehen vor grossen Herausforderungen – insbesondere durch die bevorstehenden Pensionierungswellen und die fortschreitende Digitalisierung. Für den Bildungsbereich bedeutet dies: Wir müssen sicherstellen, dass zum Semesterbeginn ausreichend Lehrpersonen verfügbar sind, damit der Unterricht weiterhin in hoher Qualität stattfinden kann. Auch die Digitalisierung, etwa durch künstliche Intelligenz, bringt neue Möglichkeiten, aber auch Risiken mit sich, auf die wir reagieren müssen. Die Bildungswelt verändert sich rasant – darauf bereiten wir uns vor. Zudem sind mir die Weiterentwicklung der Schulautonomie sowie die Umsetzung des Konzepts «Schule und Betreuung aus einer Hand» grosse Anliegen. Es geht darum, Bildungs- und Betreuungsangebote stärker zu verzahnen und damit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter zu verbessern. Schulen sollen dabei mehr Gestaltungsspielraum erhalten, um auf die jeweiligen Bedürfnisse ihrer Schülerinnen und Schüler individuell eingehen zu können.
In den Medien ist wiederholt von einem drohenden Lehrermangel die Rede. Wie ist die Situation in Liechtenstein?
Wir stehen aktuell noch nicht vor einem akuten Lehrermangel, wie andere Länder ihn kennen. Aber auch wir dürfen uns nicht in Sicherheit wiegen. Die Zeichen sind da, und wir müssen rechtzeitig handeln, bevor die Situation eskaliert. Wir dürfen nicht warten, bis Klassenzimmer leer bleiben, sondern müssen schon heute Strategien entwickeln, um dem entgegenzuwirken.
Welche Massnahmen sind für dieses Entgegenwirken nötig?
Einerseits ist es wichtig, die Ausbildung zur Lehrperson attraktiv zu gestalten, um möglichst viele Personen für diesen Beruf zu motivieren. Ebenso wichtig ist es jedoch, als Arbeitgeber attraktiv zu sein. Die Rahmenbedingungen müssen so ausgestaltet sein, dass die Lehrpersonen gerne auf ihrem Beruf bleiben. Eine aktuelle Umfrage unter Lehrpersonen hat ergeben, dass ein nicht zu unterschätzender Anteil den Beruf heute nicht noch einmal wählen würde. Das ist besorgniserregend. Wenn Lehrpersonen keine Berufung mehr empfinden, ist es höchste Zeit, gegenzusteuern. Die Machergruppe «Attraktivität Lehrberuf» hat im Auftrag des Schulamts Vorschläge erarbeitet, die nun geprüft und umgesetzt werden müssen. Lehrpersonen stehen unter grossem Druck und erfahren oft zu wenig Wertschätzung. Das müssen wir ernst nehmen und entsprechend handeln. Es braucht eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung, um das Berufsbild nachhaltig zu stärken.
Sie setzen sich seit Jahren für den öffentlichen Verkehr ein. Wie möchten Sie diesen fördern – und was halten Sie vom Gratis-ÖV?
Aus meiner Zeit bei der Hilti AG weiss ich, dass Mitarbeitende durchaus auf den ÖV umsteigen, wenn Bus und Bahn attraktive Alternativen zum Auto darstellen. Das entlastet Strassen und schafft Platz für jene, die auf das Auto angewiesen sind. Wir müssen sicherstellen, dass unsere Busse nicht im Stau stehen – deshalb will ich das Projekt für eine eigene Busspur entscheidend vorantreiben. Zudem wollen wir durch Optimierungen im Bahnverkehr mehr Verbindungen schaffen. Langfristig sehe ich auch die Möglichkeit einer Trambahn von Schaan bis Sargans. Gleichzeitig müssen wir erkennen, dass das Auto für viele weiterhin notwendig ist. Deshalb braucht es ergänzend Umfahrungsstrassen zur Entlastung der Dorfkerne und eine Erneuerung sowie Erweiterung der Rheinübergänge.
Der Gratis-ÖV ist ein diskutiertes Thema. Ob er tatsächlich zu einem deutlichen Umstieg führt, hängt auch vom Verhalten der Bevölkerung ab. Wenn der Landtag die nötigen 5 Millionen Franken spricht, wäre das Preisargument jedenfalls vom Tisch. Es bleibt eine politische und gesellschaftliche Fragestellung, wie viel uns ein attraktiver und klimafreundlicher ÖV wert ist.
Wie kann dem zunehmenden Individualverkehr entgegengewirkt werden?
Das Projekt «Raum und Mobilität 2050» blickt vorausschauend auf die kommenden Jahrzehnte. Sollten sich die Bevölkerungs- und Pendlerprognosen bewahrheiten, müssen wir schon heute die richtigen Weichen stellen. Bei rund 35’000 Pendelnden und 45’000 Einwohnern braucht es Lösungen, die sich bereits in Städten vergleichbarer Grösse bewährt haben – etwa S-Bahn, Tramlinien und Ortsumfahrungen. Wir brauchen Visionen – aber auch den Mut zur Umsetzung.
Als Infrastrukturminister verantworten Sie auch staatliche Bauprojekte. Wie wollen Sie künftig Kostenüberschreitungen und Verzögerungen vermeiden?
Bauen bringt immer Überraschungen mit sich – das weiss jeder, der schon einmal selbst gebaut oder umgebaut hat. Entscheidend sind eine realistische Planung und ausreichende finanzielle Reserve. Ob wir künftig zuerst eine Detailplanung erstellen und danach über das Budget entscheiden oder beim bisherigen Verfahren bleiben, ist offen. Klar ist jedoch: Wir müssen unsere Handhabung von Reserven überdenken.
Was erhoffen Sie sich generell von der Legislatur 2025 bis 2029?
Ich wünsche mir, dass wir lösungsorientiert arbeiten, anstatt uns mit der Frage zu beschäftigen, wer eine Idee zuerst hatte. Am Ende der Legislatur möchte ich mit Überzeugung sagen können: Ich habe mein Bestes gegeben, um das Land weiterzubringen. Dabei sollen die Menschen spüren, dass wir nicht nur verwalten, sondern gestalten.