
In der Mitte des 19. Jahrhunderts gab es in der Rheintal-Bodensee-Region diverse Projekte für neue Eisenbahnlinien. Liechtenstein bemühte sich über mehrere Jahre, das ganze Land an das Eisenbahnnetz anzuschliessen, konnte sich gegenüber den Schweizer Nachbarn aber nicht durchsetzen. Letztlich musste man sich mit der Bahnlinie Feldkirch–Buchs zufriedengeben, die nur einen kleinen Teil des Landes bedient.
Text: Günther Meier
Am 27. August 1870 wurde in Bregenz ein Staatsvertrag über den Eisenbahnverkehr zwischen Österreich, der Schweiz, Bayern und Liechtenstein unterzeichnet. Den Kern des umfangreichen Vertragswerks bildete eine Übereinkunft der Unterzeichner über den Bau von zwei Eisenbahnlinien. Eine sollte von Lindau nach Bregenz und von dort nach St. Margrethen zur Verbindung mit den Schweizerischen Eisenbahnen gebaut werden, eine andere Bahnlinie von Feldkirch nach Buchs, wo ebenfalls eine Anbindung an das schweizerische Bahnnetz erfolgen sollte. Der Staatsvertrag 1870 war notwendig geworden, weil eine fünf Jahre früher abgeschlossene Vereinbarung nicht umgesetzt worden war. Wie es im Vertrag heisst, seien in der Zwischenzeit neue Entwicklungen eingetreten, die eine Abänderung der Vereinbarung notwendig gemacht hätten. Konkret war die 1865 in Aussicht genommene Verbindung zwischen dem österreichischen und schweizerischen Bahnnetz über eine neue Linie von Feldkirch nach Rüthi nicht realisiert worden.
Liechtenstein sollte Aktien kaufen und als Investor auftreten
Mit dem Staatsvertrag von 1870 musste Liechtenstein hinnehmen, dass sich der Traum von einer Bahnlinie durch das ganze Land, von Schaanwald bis Balzers, nicht verwirklichen liess. Dabei hatte Liechtenstein schon frühzeitig sein Interesse bei den Schweizern und Österreichern für eine Liechtenstein-Bahn angemeldet, die als eine geeignete Verbindung zwischen den Bahnnetzen der zwei Nachbarstaaten beworben wurde. Der Regierung in Vaduz war nicht verborgen geblieben, wie Pläne über den Ausbau der Eisenbahnen auf der Strecke von Chur bis zum Bodensee in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden. Als 1857 eine Verbindungsplanung zur Diskussion stand, setzte sich Landesverweser Karl Freiherr Haus von Hausen (1823–1889) dafür ein, die Rheinüberquerung der Bahnlinie nicht in Bendern oder in Schaan zu bauen, sondern die Bahnlinie durch Liechtenstein bis nach Balzers zu führen und erst südlich davon mit der schweizerischen Bahn zu verbinden. Der Landesverweser hatte zudem die innovative Idee, Liechtenstein könnte bei der geplanten Bahnlinie als Investor auftreten, also Aktien kaufen und Garantien für die Verwirklichung zu übernehmen. Mit diesem Vorschlag drang der Regierungschef aber nicht durch, ebenso wenig mit einer abgespeckten Variante, die Gleise bis nach Vaduz zu verlegen und von dort über den Rhein zu führen.
Österreich und die Schweiz hatten andere Pläne. Die mit dem nicht umgesetzten Staatsvertrag von 1865 geplante Verbindung sollte durch eine Bahnlinie von Feldkirch nach Rüthi hergestellt worden. Gegen diese Planung erhoben sich Proteste in Liechtenstein. Es kam zur spontanen Gründung eines Eisenbahnkomitees, das eine Bittschrift an Fürst Johann II. (1840–1929) mit der Aufforderung richtete, sich bei Kaiser Franz Josef I. für die liechtensteinischen Anliegen einzusetzen. Auch die «Liechtensteiner Landeszeitung» setzte sich mit deutlichen Worten mit dem Thema auseinander, kritisierte die Zugeständnisse der Österreicher an die Schweiz und fand die geplante Teilstrecke von Feldkirch nach Rüthi völlig überflüssig: «Jedenfalls hätte das Interesse des industriellen Vorarlbergs mehr Rücksicht verdient. Die Baukosten dieser Zweigbahn sind sicherlich rein ins Wasser geworfen, indem die natürlichen Verhältnisse gewiss einstens den Bau einer Vorarlberger-Bahn erzwingen werden.» Liechtenstein setzte sich auf verschiedenen Ebenen für die Liechtenstein-Bahn ein. Am 8. Juni 1869 machte sich eine Delegation des Landtags auf, um den gerade in Feldkirch weilenden österreichischen Handelsminister zu einem Gespräch zu treffen. Die Delegierten überreichten dem Wiener Minister eine Denkschrift, welche die Verkehrsverhältnisse zwischen Vorarlberg und Liechtenstein durch den Zollvertrag zwischen den beiden Ländern aufzeigte. Einen vollen Erfolg konnte Liechtenstein mit all den Initiativen und Gesprächen nicht erreichen, aber schliesslich gelang es doch, die Bahnführung von Feldkirch nach Buchs ein Stück weit über liechtensteinisches Staatsgebiet zu erreichen.
Nur zwei Jahre Bauzeit für die Bahnlinie von Feldkirch nach Buchs
Mit dem Staatsvertrag von 1870 hatten sich die Vertragspartner einen zeitlich engen Rahmen für die Realisierung der Bahnstrecke von Feldkirch nach Buchs gegeben. Nur zwei Jahre danach, am 24. Oktober 1872, dampfte der erste Zug auf der neu erstellten Bahnlinie, die von Schaanwald über Nendeln und Schaan durch einen Teil Liechtensteins führte. In der heutigen Zeit würde die erste Fahrt einer Eisenbahn wohl auf grosses Interesse der Medien stossen. Anders 1872, weil es damals keine Medien in Liechtenstein gab. Radio und Fernsehen lagen noch in weiter Ferne, das «Liechtensteiner Volksblatt» erschien erst ab 1878. Die «Liechtensteiner Landeszeitung» konnte nur von 1863 bis 1867 gelesen werden, und die erste Ausgabe der «Liechtensteiner Wochenzeitung» erreichte die Leserschaft erst ein Jahr nach der Inbetriebnahme der Bahn. Entlang der Eisenbahnlinie dürfte sich das Interesse von Schaulustigen in Grenzen gehalten haben, denn die Bahn führte mit Ausnahme von Schaan durch damals weitgehend unbewohntes Gebiet. Das Oberland blieb trotz jahrelanger Bemühungen der liechtensteinischen Behörden vom Anschluss an die Eisenbahn ausgeschlossen.
Liechtenstein träumte weiter von einer Oberland-Bahn
Der Traum von einer Oberland-Bahn aber wurde weiter geträumt. Mehrfach hoffte Liechtenstein auf eine Weiterführung der Bahnlinie von Schaan nach Sargans oder Landquart. Eine erste Chance sah die Regierung schon während der Bauzeit der Arlberg-Bahn in den Jahren 1882 bis 1884. Das damals gegründete Eisenbahn-Initiativkomitee forderte den Ausbau durch das Oberland, damit alle Talgemeinden des Landes an die Eisenbahn angeschlossen wären. Das «Liechtensteiner Volksblatt» schrieb schon im Jahr 1881 von den unbestrittenen Vorteilen, die eine Verlängerung der Arlberg-Bahn von Feldkirch durch Liechtenstein nach Sargans hätte, statt nur durch das Unterland und Schaan bis nach Buchs zu führen: «Der Anschluss in Buchs ist eben der Natur der Sache und seiner ganzen Anlage nach ein durchaus verfehlter, was jedem, der einen Blick auf die bezügliche Eisenbahnkarte wirft, auch bei der oberflächlichsten Prüfung sofort in die Augen springen muss. Bei Verlängerung der Linie Feldkirch–Schaan bis Sargans würde sich die Sachlage mit einem Schlage ändern.» Mit diesem Vorschlag konnten sich die Nachbarn auf der Schweizer Seite jedoch nicht anfreunden, ebenso die Schweizerischen Bundesbahnen nicht, die auf den Bahnhof Buchs setzten. Zurückhaltend äusserte sich auch das Handelsministerium in Wien, das keinen dringenden Grund sah, die Bahnlinie durch das Oberland zu verlängern, weil damals noch kaum Industriegüter für die Export und damit für den Verlad auf die Bahn produziert wurden.
Ideen für Zusammenarbeit mit der Rhätischen Bahn
Für ein paar Jahre ruhte nach dieser klaren Absage die Eisenbahn-Planung durch das Oberland. 1905 konstituierte sich aber ein «Initiativkomitee Ragaz-Maienfeld, das die Bestrebungen der Kuranstalten Bad Ragaz aufnahm, die zuerst eine Bahn von Bad Ragaz nach Landquart forderten, später dann einer Schmalspurbahn von Landquart durch die Bündner Herrschaft und das Liechtensteiner Oberland bis zur österreichischen Bahnlinie in Schaan den Vorzug gaben. Liechtenstein zeigte sich begeistert von dieser Idee. Am 27. März 1905 wurde im Landtagssaal in Vaduz eine Informationsversammlung abgehalten, an der die Initianten des Projektes sowie der Regierungschef In der Maur und die Oberländer Landtagsabgeordneten sowie einige Fabrikbesitzer und die Vorsteher der betroffenen Gemeinden Balzers, Triesen, Vaduz und Schaan teilnahmen. Die Versammlung gelangte zum Schluss, der Anschluss an die Rhätische Bahn entspreche einem «vitalen Verkehrsbedürfnis des Landes Liechtenstein». Anschliessend sprach sich auch die Bündner Regierung für das Projekt aus. Die Regierung in St. Gallen nahm zuerst eine ablehnende Haltung ein, lenkte ein Jahr später aber doch ein, nachdem sie die Vorteile für Bad Ragaz erkannt hatte.
In Bern empfahl der Bundesrat mit einer Botschaft vom 16. April 1907 den Räten die Erteilung der Konzession für eine Schmalspurbahn von Landquart über Bad Ragaz bis nach Schaan. Doch kurze Zeit später machte er eine Kehrtwendung, weil sich die Schweizerischen Bundesbahnen mit Nachdruck gegen die Konkurrenz wehrten. Einer regionalen Verbindung von der Bündner Herrschaft bis nach Schaan hätten die Bundesbahnen noch zugestimmt, nicht aber einem Anschluss an den internationalen Bahnverkehr. Bei diesem Projekt, kritisierten die Bundesbahnen, werde der Anschluss an die österreichische Staatsbahn und damit die Anbindung an den internationalen Ost-West-Verkehr vollzogen. Gar als gefährliche Konkurrenz wurde die Erstellung einer direkten Verbindung mit dem Bodensee und weiter nach Süddeutschland eingestuft. Aufgrund dieser massiven Ablehnung durch die Schweizerischen Bundesbahnen knickte der Bundesrat ein: Schon am 19. November 1907 schickte er erneut eine Botschaft an die Eidgenössischen Räte und zog den Antrag vom 16. April zurück. Für Liechtenstein hiess dies: wieder nichts mit einer Oberland-Bahn!

(B 512/008/002; Fotograf/Künstler: Unbekannt; Quelle: Liechtensteinisches Landesarchiv, Vaduz,).

Auch nach dem Rheineinbruch 1927 keine Bahn durchs Oberland
Nochmals einen Hoffnungsschimmer für eine Oberland-Bahn gab es nach dem Rheineinbruch am 25. September 1927, als auch die Eisenbahnbrücke durch die Wassermassen beschädigt wurde. Die Regierung nahm die Gelegenheit wahr, um den Österreichischen Bundesbahnen einen Vorschlag zu unterbreiten: Keine Sanierung des Bahndammes und der Brücke, sondern die Weiterführung der Bahnlinie nach Vaduz, Triesen und Balzers. Sondierungen in der Schweiz ergaben allerdings kein positives Resultat. Auch in Wien gab es kein grünes Licht, obwohl der Unterhändler zuerst positive Signale nach Vaduz geschickt hatte. Interessant ist, dass die Regierung den damaligen Hofkaplan zum österreichischen Bundeskanzler Ignaz Seipel schickte, um für das Bahnprojekt zu begeistern. Seipel war ebenfalls Theologe und Priester, was man im Regierungsgebäude als Vorteil einschätzte. Der Hofkaplan hatte nach dem Gespräch den Eindruck, wie er nach Vaduz berichtete, der Bundeskanzler werde sich «wärmstens für uns einsetzen». Aber er war mit seiner Einschätzung etwas zu optimistisch. Bundeskanzler Seipel informierte die liechtensteinische Regierung am 15. Januar 1928 über seine Entscheidung: «Die Realisierung des erwähnten Projektes würde einen Kostenaufwand erfordern, der zu den erreichten kommerziellen Vorteilen in keinem Verhältnis stünde.» Mit anderen Worten: Auch keine Oberland-Bahn mit österreichischer Hilfe!
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