Leserbrief von Uwe Fischer,
Rötis 25, Eschen
Landtagsabgeordneter Stefan Öhri (VU) bezeichnet in der „Liewo, Frage der Woche“ einen Vorbehalt gegen die neuen WHO-Gesundheitsvorschriften (IGV) als „rein symbolisch“. Doch das ist ein Irrtum – rechtlich wie politisch. Der Schweizer Bundesrat hat einen solchen Vorbehalt formuliert, nicht aus Prinzip, sondern zur aktiven Wahrung der Meinungsfreiheit. Auch Liechtenstein kann und sollte dieses Instrument nutzen. Ein klarer Vorbehalt würde verhindern, dass vage Begriffe wie „Desinformation“ später als Legitimation dienen, um verfassungsrechtlich geschützte Kritik einzuschränken – gerade in Notlagen.
Die IGV sind keine blossen Empfehlungen, sondern völkerrechtlich verbindliche Vorschriften der WHO gemäss Art. 21 ihrer Verfassung. Sie gelten nach ihrer Annahme durch die Weltgesundheitsversammlung automatisch für alle Mitgliedstaaten, es sei denn, ein Staat legt fristgerecht Widerspruch ein (Art. 61 IGV) oder bringt einen Vorbehalt an. In ihrer Wirkung ähneln sie internationalen Verträgen, da sie in Rechtsordnungen wie in Liechtenstein direkt anwendbar sein können – insbesondere dann, wenn sie konkret, als unmittelbar anwendbares Recht und justiziabel formuliert sind. Damit entfalten sie potenziell Vorrang gegenüber kollidierenden nationalen Vorschriften.
Wer sich allein auf bestehende nationale Gesetze beruft, übersieht: Die IGV entfalten Wirkung unabhängig davon, ob sie vom Landtag eigens ratifiziert werden. Einmal in Kraft, sind ihre Bestimmungen unmittelbar bindend – mit möglichen Folgen für die Auslegung gesundheitspolitischer Kommunikation, Datennutzung oder Risikobewertungen. Wenn die Schweiz – mit weit grösserem politischem Einfluss – einen Vorbehalt nötig findet, sollte Liechtenstein mindestens ebenso vorsichtig sein.
Ein Vorbehalt ist kein Symbolakt. Er ist verfassungsrechtliche Vorsorge. Wer Demokratie und Grundrechte ernst nimmt, handelt vorbeugend – nicht erst wenn es zu spät ist.