Das Fürstentum Liechtenstein besteht als eigenständiger Staat schon mehr als 300 Jahre. Aber erst im 1940, vor 85 Jahren, wurde erstmals ein Staatsfeiertag begangen. Als Festtag legte die Regierung den 15. August fest, mit dem Fest Maria Himmelfahrt ohnehin ein Feiertag. Gleichzeitig war es auch der Vortag des Geburtstages von Fürst Franz Josef II.
Text: Günther Meier
Böllerschüsse schreckten um 5 Uhr morgens die Bevölkerung aus ihren Betten. Aber es war kein Angriff während des Zweiten Weltkriegs auf das neutrale Liechtenstein, das seit dem Anschluss Österreichs im Jahr 1938 zum direkten Nachbarn des Deutschen Reichs geworden war, sondern nur der Auftakt für eine neue Festveranstaltung: den Staatsfeiertag, der erstmals am 15. August 1940 begangen wurde. Ob alle bei den Böllerschüssen sofort an den neuen staatlichen Feiertag gedacht haben, scheint fraglich, denn die Vorlaufzeit für das Fest war sehr kurz. Die Regierung hatte der Bevölkerung erst am 5. August in einem Inserat in den Landeszeitungen mitgeteilt, dass der 15. August per Regierungsbeschluss zum Staatsfeiertag erkoren worden war: «Die Regierung hat beschlossen, dass der 15. August, Maria Himmelfahrt, zur Feier des Geburtstagsfestes Seiner Durchlaucht des Landesfürsten zum Staatsfeiertag erklärt wird.» Für die erstmalige Durchführung des Staatsfeiertags waren alle elf Gemeinden aufgerufen worden, in ihrem Rahmen einen Festanlass für die ganze Bevölkerung zu organisieren.
Staatsfeiertag am Fest Maria Himmelfahrt
Die Regierung hatte den 15. August als Datum für den Staatsfeiertag aus zweierlei Gründen ausgesucht: Einerseits war dieser Tag mit dem katholischen Fest Maria Himmelfahrt bereits ein Feiertag, andererseits handelte es sich um den Vortag des Geburtstags von Fürst Franz Josef II. Begleitet von weiteren Böllerschüssen schritten die Kirchgänger in den Gemeinden zum Gottesdienst um 9 Uhr, den die Dorfpfarrer gemäss Anleitung der Regierung zum festlichen Amt erhoben hatten: «Feierliches Hochamt mit Predigt, Te Deum und sakramentaler Segen.» Die Predigten galten, wie die Regierung für die Priester ebenfalls angeregt hatte, der äusserst gefahrvollen Zeit, die auch die Existenz Liechtensteins gefährden könnte. Deshalb habe sie den Staatsfeiertag als Zeichen der Einheit zum gemeinsamen Feiern eingeführt. Die Gemeinden luden die Bevölkerung nach dem Hochamt zu einem Umtrunk ein, den Dorfvereine mit ihren musikalischen Darbietungen umrahmten.

Der erste Staatsfeiertag fand noch dezentral in den Gemeinden statt, nicht wie bald darauf im Vaduzer Zentrum. Die Festakte hielten sich in einem bescheidenen örtlichen Rahmen, etwa so, wie das «Liechtensteiner Volksblatt» in einer Vorschau geschrieben hatte: «Wir machen aus dem Geburtstag unseres Fürsten kein lautes Fest. Es entspricht nicht liechtensteinischer Art, aus innersten Gefühlen äussere Kundgebungen zu machen.» Etwas festlicher ging es im Unterschied zu anderen Gemeinden in Vaduz zu und her. Fürst Franz Josef II., der erst zwei Jahre vorher seinen Wohnsitz von Wien auf Schloss Vaduz verlegt hatte, nahm nach der Messe in der Pfarrkirche auf dem Balkon ein Ständchen von Harmoniemusik und Kirchenchor Vaduz des Regierungsgebäudes entgegen. In einer Ansprache ging Bürgermeister Ludwig Ospelt, wie die Vorsteher in den anderen Gemeinden, auf die gefahrvolle Zeit ein und prognostizierte, der Krieg habe auch Auswirkungen auf Liechtenstein. Deshalb forderte Ospelt die versammelte Bevölkerung zur Einheit und Geschlossenheit auf. «Wenn solche katastrophalen Weltereignisse sich vollziehen, die auch an unserem Lande nicht spurlos vorübergehen und gewisse Rückwirkungen zeitigen», betonte der Bürgermeister, «so soll uns dies nicht entmutigen, sondern nur einiger, entschlossener und einsatzbereiter machen denn je.»
Aufrufe zu Einheit und Geschlossenheit
Nach der öffentlichen Feier zum Staatsfeiertag gab es am eigentlichen Geburtstag des Fürsten noch einen Empfang für geladene Gäste auf Schloss Vaduz. Gegen 100 Gratulanten – Vertreter der Regierung, des Landtags und der Gemeinden sowie weitere geladene Gäste, hätten sich in der fürstlichen Residenz eingefunden, berichtete das «Liechtensteiner Volksblatt». Regierungschef Josef Hoop hielt eine Ansprache und gab zu verstehen, mit ihrem Aufmarsch wollten die Gratulanten dokumentieren, «dass sie in der heutigen schicksalsverworrenen Zeit sich einhellig und geschlossener als je um ihren Landesherrn scharen», der sowohl Symbol und Wirklichkeit liechtensteinischer Freiheit und Unabhängigkeit sei. Hoop betonte ausserdem, je unruhevoller die Gegenwart und je ungewisser die Zukunft Europas sei, desto vertrauensvoller und hoffnungsvoller schaue das Volk zu seinem Landesfürsten auf, «der unser kleines Staatsschiffchen über alle Fährnisse hinweg führen soll.»
Was Regierungschef Josef Hoop und der Vaduzer Bürgermeister Ludwig Ospelt in den Ansprachen ausführten, verstanden wohl alle heimattreuen Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner. Die Aufrufe zur Erhaltung der Unabhängigkeit sowie zur Einheit und Geschlossenheit sind vor dem Hintergrund verschiedener Ereignisse kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs zu sehen. Vertreter der Volksdeutschen Bewegung in Liechtenstein hatten als Ziel ihrer Politik formuliert, den Nationalsozialismus in Liechtenstein einzuführen und das Land für den Anschluss an Hitler-Deutschland vorzubereiten. Diesem Ansinnen wollten die prominenten Redner entgegenwirken, indem die Bevölkerung für das Einstehen für Freiheit und Souveränität motiviert werden sollte. Gleichzeitig verfolgte die Einführung des Staatsfeiertags auch das Ziel, den Provokationen der Volksdeutschen Bewegung mit Hakenkreuz-Feuern und Aufmärschen etwas Heimattreues entgegenzusetzen. Auch das «Volksblatt» richtete Appelle an die Bevölkerung, mit Gottvertrauen in die Zukunft zu blicken, in dem berechtigten Glauben, dass dem Land von aussen keine Gefahren drohten: «Es ist Ehrenpflicht für die verantwortlichen Behörden, wie für das Volk selbst, sich dieser grossen Verantwortung stets bewusst zu bleiben und ihr nachzuleben. Wenn wir dies tun, dann dürfen wir hoffen, dass auch der Erfolg nicht ausbleibt und die sichere Gewähr dafür geschaffen werden wird, dass die Nachkommen unseres Geschlechts das grosse Glück besitzen, [dass ihnen] ein freies, glückliches, mit unserem Fürstenhause eng verbundenes Vaterland erhalten bleiben wird.»
Feuerwerk, Höhenfeuer und Fackelzüge
Der Staatsfeiertag hat sich seit 1940 immer wieder leicht verändert, aber wesentliche Elemente wie die Höhenfeuer und der Fackelzug über den Fürstensteig blieben bisher erhalten. Ein prägendes Element bildet zweifellos auch das Feuerwerk vor der Kulisse von Schloss Vaduz, das seinen Ursprung nicht beim ersten Staatsfeiertag hatte, sondern bereits ein Jahr zuvor – bei der Huldigungsfeier für den neuen Fürsten Franz Josef II. Zur Huldigung hatten die Gegner der Volksdeutschen Bewegung auf den Gipfeln zahlreicher Berge Höhenfeuer angezündet, Fackelzüge organisiert und auf einem Berghang eine weithin sichtbare Fürstenkrone ausgesteckt und entzündet. Am Abend des Huldigungstages 1939 war die Bevölkerung eingeladen, ein Feuerwerk vor Schloss Vaduz mitzuerleben. Das «Volksblatt» berichtete: Als das Feuerwerk begonnen habe, seien Leuchtraketen aus dem Schlosshof gesprungen, die sich in den herrlichsten Spielarten in die Farben des Fürstenhauses und des Landes aufgelöst hätten: «Feuerbänke erschienen, ein Wasserfall rieselte über die Mauer den Schlossberg herunter und an den fahlgrauen Schlossmauern erschienen Kreuz und Stern in den wundersam leuchtenden Farben, dann wieder hing ein hellleuchtender Gobelin über dem Städtchen, an dessen Fenstern Lichtlein flammten und mit ihrem Widerschein so oft das bekränzte Bildnis unseres Fürsten grüssten.» Den Schluss, der die Bevölkerung zu grossem Beifall animierte, bildete die Schrift an den Schlossmauern: «Mit Gott für Fürst und Vaterland».
Erst 1990 ein Gesetz zum Staatsfeiertag
Auf der Basis der Regierungsentscheidung vom 5. August 1940, die den 15. August zum Staatsfeiertag erklärt hat, wurde während Jahrzehnten an Maria Himmelfahrt auch der staatliche Festtag gefeiert. Aber erst 1990 verabschiedete der Landtag eine Vorlage, die den 15. August gesetzlich zum Staatsfeiertag erhob. Das Gesetz wurde äusserst kurz gehalten. Es umfasst nur drei Artikel. Der erste nennt das Datum für den Staatsfeiertag, der dritte bestimmt, dass das Gesetz erstmals im Jahr 1990 Anwendung findet. Dazwischen befindet sich noch ein Gesetzesartikel, der das Ziel und den Zweck des Gesetzes umreisst: «Die Feierlichkeiten zum Staatsfeiertag sollen die Besinnung auf die staatlichen Grundwerte fördern und das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit stärken.»
Titelbild: Staatsfeiertag 1966, SgAV 11/2379/001, Fotograf / Künstler: unbekannt, Quelle: Liechtensteinisches Landesarchiv Vaduz
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