Leserbrief von Dr. Christian Bandelier,
Stötz 2, Balzers
Der Leitartikel von Vaterland- Chefredaktors Reto Furter vom vergangenen Dienstag, den 12. August 2025 („Damit Grund zur Feier besteht“) wirkt weniger wie eine ausgewogene Analyse als wie eine politische Meinungsäusserung. Herr Furter unterstellt darin indirekt, dass über 77 Millionen Amerikaner zu wenig urteilsfähig seien, um eine rationale Wahlentscheidung zu treffen. Eine solche Aussage ist eine grobe Verallgemeinerung und widerspricht dem journalistischen Ethos, mit Sprache verantwortungsvoll umzugehen. Wer Andersdenkenden pauschal die Mündigkeit abspricht, bewegt sich gefährlich nahe an einem bevormundenden Weltbild. Herr Furter sollte überzeugende, empirische Belege liefern: Zeigen unabhängige Studien wirklich, dass eine demokratische Mehrheit der Bevölkerung nicht mündig urteilt? Oder handelt es sich hier lediglich um seine persönliche politische Wertung, sprich um seine private Meinung?
In einer Demokratie gilt: Jede Bürgerin und jeder Bürger hat das Recht, seine Stimme abzugeben – unabhängig vom Bildungsstand und unabhängig von der Art, wie er oder sie sich informiert. Wer dies pauschal in Frage stellt, greift das Fundament der demokratischen Teilhabe an.
Nüchtern betrachtet lässt sich folgendes feststellen: In den letzten 16 Jahren waren die USA während 12 Jahren von Präsidenten der Demokratischen Partei geführt. Es ist daher naheliegend, dass die jüngsten Wahlergebnisse das basisdemokratische Bedürfnis vieler Wählerinnen und Wähler nach einem erneuten politischen Wechsel zum Ausdruck gebracht haben. In einer Demokratie ist dies völlig legitim und kein Zeichen von „Medienmüdigkeit“.
Auch die Frage, wer eigentlich definiert, was ein „ernsthaftes Medienprodukt“ ist, drängt sich auf. Mit dieser Formulierung erhebt sich der Autor in eine Art moralische Überlegenheit. Doch wer gibt Journalisten das Recht, festzulegen, welche Medien oder Meinungen gültig sind und welche nicht? Wer dies bestimmt, legt auch fest, welche Stimmen gehört werden dürfen – und welche nicht. Das schränkt die Vielfalt ein und gefährdet die freie Meinungsbildung.
Befremdlich ist zudem die abwertende Sprache gegenüber einem demokratisch gewählten Präsidenten. Wer ihn pauschal als „irrlichternd und selbstherrlich“ darstellt, verlässt den Boden einer sachlich-neutralen Analyse und betreibt selbst eine Form der Beeinflussung. Genau das sollte verantwortungsvoller Journalismus vermeiden. Dies gilt umso mehr für Medien, die nicht privat geführt, sondern mit staatlichen Mitteln unterstützt werden und damit eine besondere Verpflichtung zur Ausgewogenheit tragen. Aufgabe dieser Medien ist es, sachlich und neutral zu hinterfragen – und nicht, selbst zum politischen Akteur zu werden.
Wenn Journalisten beginnen, Themen zu filtern, Meinungen abwertend darzustellen und sich als alleinige Hüter der Wahrheit zu inszenieren, laufen sie Gefahr, genau das zu tun, was sie anderen vorwerfen: Ideologische Propaganda.
Ich betone ausdrücklich: Es geht mir nicht darum, eine bestimmte Politik oder einen Präsidenten zu bewerten, sondern darum, das journalistische Selbstverständnis zu hinterfragen. Wer politische Kontrolle einfordert, muss bereit sein, auch die eigenen Mechanismen, blinden Flecken und ideologischen Filter kritisch zu hinterfragen.
Nur dann kann Medienarbeit wirklich – so wie es Chefredaktor Furter eigentlich fordert – „im Interesse von allen“ sein.
Wegen der Zeichenbeschränkung konnte dieser Leserbrief im Liechtensteiner Vaterland nur stark gekürzt erscheinen. Wenn man ein Thema differenziert darstellen und zugleich eine präzise Sprache wählen möchte, stösst man dabei schnell an Grenzen. Umso dankbarer bin ich der LieZeit-Redaktion, dass sie die ungekürzte Fassung meiner Zeilen veröffentlicht hat.