Beitragsreihe zum Handbuch «Das politische System Liechtensteins»
Die staatliche Souveränität Liechtensteins konnte seit 1806 durch alle Wirren der Geschichte gewahrt werden, auch dank der Kooperation mit den grösseren Nachbarstaaten und der Mitgliedschaft und Mitarbeit in internationalen Organisationen. Die Balance zwischen Eigenständigkeit und Einbindung ist dem Kleinstaat bislang gelungen.
Text: Wilfried Marxer
Nach dem Kauf der Herrschaft Schellenberg (1699) und der Grafschaft Vaduz (1712) durch die Fürsten von Liechtenstein wurden die beiden Landschaften 1719 zum Fürstentum Liechtenstein vereinigt. Damit einher ging allerdings keine staatliche Souveränität, da Liechtenstein eingebunden war in das Heilige Römische Reich. Zur Zeit der grössten Ausdehnung um 1200 erstreckte sich dieses Reich vom Osten Frankreichs bis zum Westen Polens, einschliesslich der heutigen Benelux-Staaten, Deutschlands, Österreichs, Tschechiens, Sloweniens, der Schweiz – und auch Liechtensteins.
Staatliche Souveränität
Erst mit dem Ende des Reiches in den Kriegen gegen Napoleon erlangten einzelne Mitglieder im Jahr 1806 die staatliche Souveränität, so auch Liechtenstein. Auf Geheiss Napoleons sagten sich 16 süd- und südwestdeutsche Staaten vom Reich los und schlossen sich im Rheinbund zusammen, dessen Mitglieder als «von jeder fremden Macht unabhängig» – also als souverän – galten. Der Handlungsspielraum Liechtensteins war trotz erlangter Souveränität eingeschränkt, auch durch die enge Anbindung an Österreich, wo die Fürsten von Liechtenstein nach wie vor residierten.
Nach der Niederlage Napoleons wurde der Rheinbund 1813 aufgelöst. Es entstand der Deutsche Bund als Staatenbund der souveränen Fürsten und freien Städte Deutschlands (1815–1866). Liechtenstein war eines der 41 Mitglieder im Bund, der von Baden bis Preussen reichte und dem auch die westlichen Kronländer der Österreichischen Monarchie angehörten (ohne Ungarn). Liechtenstein konnte im Rahmen des Bundes als eigenständiger Staat weiter bestehen, während viele andere kleine Fürstentümer grösseren Staaten einverleibt wurden. Die Mitgliedschaft war allerdings mit Kosten verbunden, und wiederum musste ein Militärkontingent unterhalten werden. Nach dem Ende des Deutschen Bundes 1866 gehörte Liechtenstein erstmals nicht mehr einem übergeordneten Reich oder Staatenbund an und musste sich als souveränes Land selbst behaupten. Die neue Freiheit wurde 1868 zur Auflösung des Militärs genutzt.
Rolle der Nachbarstaaten
Die staatliche Souveränität Liechtensteins besteht bis in die Gegenwart. Allerdings zeigte sich der Kleinstaat flexibel und suchte mit grösseren Verbündeten nach pragmatischen Lösungen. So ging Liechtenstein 1852 eine Zollunion mit Österreich ein, worauf eine erste Industrialisierung eingeleitet wurde. Nach dem Untergang der Donaumonarchie nach dem Ersten Weltkrieg orientierte sich Liechtenstein stärker in Richtung Schweiz. Dies wurde mit dem Zollanschlussvertrag von 1923 und der Einführung der Frankenwährung 1924 besiegelt. Die Zollverträge waren mit einer Souveränitätseinbusse verbunden, da die grossen Nachbarstaaten in vielen Bereichen des Wirtschafts- und Rechtslebens den Takt vorgaben.
Die Hinwendung zur Schweiz, die Grundlegung des Bank- und Treuhandwesens in den 1920er-Jahren (u.a. Personen- und Gesellschaftsrecht 1926) und eine zunehmende Industrialisierung ab den 1930er-Jahren verhalfen Liechtenstein jedoch zu wirtschaftlichem Aufschwung und Stabilität, die bis in die Gegenwart anhalten. Die Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges überstand Liechtenstein trotz Bedrohungen von aussen und innen als souveräner Staat.
Internationale Vernetzung
Die völkerrechtliche Absicherung Liechtensteins ist allerdings ein Dauerthema. Nach dem Ersten Weltkrieg wollte Liechtenstein dem Völkerbund beitreten, der von 1920 bis 1946 bestand. Dies wurde jedoch abgelehnt, weil Liechtenstein zu klein sei, den Verpflichtungen nicht nachkommen könne, keine eigene Armee unterhalte und bestimmte Hoheitsrechte an die Schweiz abtrete.
Nach dem Zweiten Weltkrieg verstärkte Liechtenstein die Anstrengungen, um international als souveräner Staat anerkannt zu werden. Stationen auf diesem Weg waren der Beitritt zum Statut des Internationalen Gerichtshofs 1950, die Mitarbeit an der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ab 1972 (ab 1994 OSZE), die Mitgliedschaft im Europarat 1978, der Uno-Beitritt 1990, die Vollmitgliedschaft in der EFTA 1991 sowie die Beitritte zum Europäischen Wirtschaftsraum 1995, zur Welthandelsorganisation 1995 und zum Internationalen Währungsfonds 2024.
Das Handbuch enthält in 23 Kapiteln Informationen zu Themen wie Souveränität, Regierung, Landtag, Parteien, Medien, Wahlen und Wahlsystem, Politische Kultur u.v.a.
Die Print-Ausgabe ist im Buchhandel erhältlich. Das ePDF kann kostenlos von der Website des Liechtenstein-Instituts oder des Nomos-Verlags heruntergeladen werden.
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Mit dieser Beitragsreihe möchte das Liechtenstein-Institut das Handbuch
«Das politische System Liechtensteins» näher vorstellen.
Heute zum Thema: «Souveränität» Der Beitrag «Souveränität» von Paul Vogt und Wilfried Marxer im Handbuch «Das politische System Liechtensteins» geht ausführlich auf die geschichtliche Entwicklung, die rechtlichen Grundlagen, die geltenden Staatsverträge sowie bilaterale und multilaterale Beziehungen ein. Er beleuchtet auch die staatsinterne
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