Der Landtag ist das Parlament des Fürstentums Liechtenstein. Er ist eine zentrale Säule der Demokratie, da er die Interessen der Bürgerinnen und Bürger auf nationaler Ebene vertritt. Neben dieser fundamentalen Repräsentationsfunktion hat der Liechtensteiner Landtag spezifische, durch die Verfassung und die Gesetze festgelegte Aufgaben (sogenannte Funktionen) zu erfüllen. Hierzu werden ihm entsprechende Kompetenzen, Organe und Strukturen zugewiesen.

Text: Philippe Rochat

Struktur und Organisation des Landtags
Die vergleichende Parlamentsforschung unterscheidet drei Arbeitsebenen von Parlamenten. Auf der höchsten Ebene ist das Gesamtparlament angesiedelt. Mit 25 Abgeordneten ist der Landtag eines der kleinsten Parlamente weltweit. Gemäss Daten der Inter-Parliamentary Union (IPU) haben nur elf der gezählten 187 Staaten ein kleineres nationales Parlament. Setzt man die Anzahl der Abgeordneten jedoch in Relation zur Bevölkerungszahl, erscheint der Landtag eher gross. Im europäischen Vergleich hat gemäss IPU nur San Marino weniger Einwohnerinnen und Einwohner pro Parlamentsmitglied.

 

Auf der tiefsten Arbeitsebene finden sich die einzelnen Parlamentsmitglieder. Sie werden alle vier Jahre in demokratischen Wahlen bestimmt und nehmen ihr Amt als Milizparlamentarierinnen und -parlamentarier wahr. In ihrer Rolle als Repräsentanten vertreten sie verschiedene Interessen im Parlamentsbetrieb. Dabei sind sie in ihrer Willensbildung und Entscheidungsfindung frei und unterliegen keinen Weisungen («freies Mandat»). Zusätzlich zu den 25 Parlamentsmitgliedern gibt es derzeit neun stellvertretende Abgeordnete. Sie kommen zum Zug, wenn ein Parlamentsmitglied nicht an einer Parlamentssitzung teilnehmen kann.

Zwischen dem Gesamtparlament und den individuellen Abgeordneten gibt es verschiedene lang- und kurzfristige Zusammenschlüsse von Parlamentsmitgliedern. Dazu zählen Fraktionen, Kommissionen und Delegationen. Eine Fraktion besteht aus mindestens drei Abgeordneten einer Partei. Sie hat ein Vorschlags- und Antragsrecht sowie Anspruch auf Vertretung in parlamentarischen Kommissionen. Auch Kommissionen sind Zusammenschlüsse von Abgeordneten. Sie konstituieren sich jedoch nicht entlang der Parteizugehörigkeit, sondern fachlicher Schwerpunkte. Kommissionen beraten und bereiten die Beschlüsse des Plenums vor. Es gibt ständige (Finanz-, Geschäftsprüfungs- und Aussenpolitische Kommission) und nichtständige Kommissionen. Delegationen wiederum vertreten den Landtag in internationalen parlamentarischen Versammlungen und Organisationen wie beispielsweise dem Europarat oder der OSZE und dienen der Pflege von Beziehungen zu Parlamenten anderer Staaten. Delegationen bestehen häufig aus zwei Landtagsabgeordneten und zwei Ersatzmitgliedern.

 

 

Die aktuelle Sitzverteilung im Liechtensteiner Landtag, Legislaturperiode 2025–2029.

 

Parlamentsfunktionen
Eine Hauptfunktion des Landtags ist die Gesetzgebungsfunktion. In Liechtenstein darf kein Gesetz ohne Mitwirkung des Landtags erlassen oder abgeändert werden. Er kann von sich aus Gesetzesvorschläge einbringen und die Gesetzesvorlagen der Regierung annehmen, ändern, ablehnen oder Anregungen einbringen. Eine zentrale Rolle spielen dabei verschiedene parlamentarische Instrumente.

Neben der Gesetzgebung gehört die Kontrolle der Regierung und der Verwaltung zu den Hauptaufgaben des Landtags. Er kann im Rahmen von Interpellationen und Kleinen Anfragen Informationen und Klarstellungen zu allen Bereichen der Landesverwaltung verlangen. Von besonderer Bedeutung sind ferner die Geschäftsprüfungskommission, die Abnahme von Rechenschaftsberichten und der Landesrechnung sowie Untersuchungskommissionen. Schliesslich verfügt er auch noch über die Instrumente der Ministeranklage und des Misstrauensvotums gegen die Regierung oder einzelne Mitglieder.

Wahlen gehören ebenfalls zu den Hauptaufgaben des Landtags. Die Abgeordneten werden vom Volk gewählt, führen aber auch selbst Wahlen durch. Einerseits wählen sie verschiedene Funktionsträgerinnen und -träger des Parlaments wie beispielsweise die Mitglieder der Kommissionen und Delegationen sowie den Landtagspräsidenten. Andererseits wählen sie Personen für nichtparlamentarische Positionen. Der Landtag schlägt unter anderem die Mitglieder der Regierung vor, die anschliessend vom Landesfürsten ernannt werden, und wirkt bei der Wahl von Richterinnen und Richtern mit.


 

Der Fürst als zweiter Souverän neben dem Volk im Staat besitzt die verfassungsmässig garantierten Rechte, die vom Landtag beschlossenen Gesetze zu sanktionieren
und im Krisenfall den Landtag sogar aufzulösen. Letzteres ist aber selten und war zuletzt 1993 nach der Absetzung des Regierungschefs Markus Büchel der Fall, als die Auflösung des Landtags gegen dessen Willen erfolgte.

 


 

Das politische System Liechtensteins

Handbuch für Wissenschaft und Praxis
Schriftenreihe des Liechtenstein-Instituts, 1. Baden-Baden: Nomos, 2024. Herausgegeben von Wilfried Marxer, Thomas Milic und Philippe Rochat.

Das Handbuch enthält in 23 Kapiteln Informationen zu Themen wie Souveränität,  Regierung, Landtag, Parteien, Medien, Wahlen und Wahlsystem, Politische Kultur u. v. a.

Die Print-Ausgabe ist im Buchhandel erhältlich. Das ePDF kann kostenlos von der Website des Liechtenstein-Instituts oder des Nomos-Verlags heruntergeladen werden.

 

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Mit dieser Beitragsreihe möchte das Liechtenstein-Institut das Handbuch
«Das politische System Liechtensteins» näher vorstellen.

Heute zum Thema: «Landtag»

Der Beitrag zum Landtag von Philippe Rochat im Handbuch «Das politische System Liechtensteins» gibt einen Überblick über die geschichtliche Entwicklung, die rechtlichen Grundlagen und die Einbettung der repräsentativen Demokratie zwischen Monarchie und direkter Demokratie. Er beleuchtet die Struktur und Organisation des Landtags, seine Aufgaben und Kompetenzen und präsentiert empirische Daten zur Arbeitsweise des Landtags. Abgerundet wird der Beitrag durch einen internationalen Vergleich, eine umfangreiche Literaturliste und Internetlinks zu relevanten Websites.

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