Der nachfolgende Beitrag von Klaus Biedermann erschien erstmals im ­Winter 2016 im Triesenberger Dorfspiegel. Für die Veröffentlichung in der «lie:zeit» hat der Autor seinen Beitrag aufgrund neuerer Forschungs­ergebnisse überarbeitet und aktualisiert.

Text: Klaus Biedermann

Als «Hintersassen» bezeichnete man Personen und Familien, die in einer Gemeinde heimatberechtigt waren, jedoch nicht –  oder nur eingeschränkt – über den Bürgernutzen verfügten. Sie gehörten zur dörflichen Unterschicht. Ohne landwirtschaftliche Nutzungsrechte mussten Hintersassen ihre Heimatgemeinde zeitweise verlassen, um zu überleben.

Weshalb liessen sich Hintersassen trotz schwieriger Perspektiven auch in Triesenberg nieder? Für eine Beantwortung dieser Frage hilft ein Blick sowohl auf die Gemeinde als auch auf nicht-sesshafte Familien. Gerade in ländlichen Gebieten waren Sesshafte und Herumziehende aufeinander angewiesen. Nicht-sesshafte Handwerker und Händler boten in den Dörfern ihre Dienstleistungen und Waren an. Für Triesenberg, erst ab 1868 durch eine befahrbare Strasse erschlossen, war dies besonders wichtig. Manche nicht-sesshafte Personen erhielten dort, dank längeren oder wiederkehrenden Aufenthalts ein Heimatrecht zugesprochen. In diesem Beitrag werden Angehörige der Familien Kung, Knobel und Wagner vorgestellt. Diese Familiennamen sind in Triesenberg ausgestorben.

Aufnahme von Johann Jakob Kung als Hintersasse
Der Fall des Johann Jakob Kung (auch «Kumm» geschrieben) ist ein Musterbeispiel einer geregelten Hintersassen-Aufnahme. Johann Jakob Kung bat am 7. August 1791 das Oberamt in Vaduz um Aufnahme in den liechtensteinischen Untertanenverband: Er sei in Sagogn (Graubünden) geboren, sein aus Savoyen stammender Vater starb, als er (Kung) zwölf Jahre alt gewesen sei. Kung habe bei Landammann Johann Wachter in Vaduz als Knecht gedient, zudem sei er an verschiedenen Orten als Zimmermann und Schreiner tätig gewesen. Seit vier Jahren sei er mit der Triesenbergerin Katharina Sele verheiratet.

Die Gemeinde Triesenberg unterstützte am 16. August 1791 das Anliegen des Bittstellers mit einem positiven Leumundszeugnis. Landvogt Franz Xaver Menzinger schickte am 21. August 1791 Kungs Gesuch mit Beilagen nach Wien, der Fürst stimmte am 20. September 1791 dem Gesuch zu. Kung wurde nun Liechtensteiner Untertan (Staatsangehöriger) und zugleich Hintersasse in Triesenberg. Johann Jakob Kungs Einkauf in den Staatsverband kostete ihn 25 Gulden Reichswährung. Dies entsprach etwa dem Wert von 125 Hühnern.

Familien Knobel und Wagner
Erleichterte die Heirat mit einer Triesenbergerin die Aufnahme von Johann Jakob Kung als Hintersasse, so war dies bei den Familien Knobel und Wagner schwieriger. Der 1757 in Tisis geborene Johann Georg Knobel ist bloss vorübergehend zwischen 1805 und 1811 als Hintersasse in Triesenberg nachweisbar. Knobel entstammte einer grösseren, unter anderem in Vorarlberg auftauchenden, über mehrere Generationen nicht-sesshaften Sippschaft.

Sein Sohn Josef Anton Knobel (1787–1853) heiratete am 6. Juli 1815 in San Vittore (Graubünden) die in Vorarlberg geborene heimatlose Magdalena Item. Die Frau war hochschwanger. Ihr Sohn Josef kam am 14. August 1815 in Fellengatter bei Frastanz zur Welt. Weitere Kinder wurden an verschiedenen Orten geboren: die Töchter Anna Maria Afra 1817 in Schnifis und Catharina 1821 nahe bei Bendern, der Sohn Johann Jakob 1823 in Satteins und die Töchter Crescentia 1832 und Magdalena 1840 in Triesenberg.

Das Oberamt in Vaduz diffamierte den als Kesselflicker tätigen Josef Anton Knobel im Jahr 1843. Er sei ein «dem Land in früheren Jahren zugewachsener Vagant, der auch die Legitimität seiner Ehe nicht gehörig auszuweisen im Falle ist». Tatsächlich war Knobel – wie erwähnt – mit seiner Frau 1815 nach San Vittore im Misox gewandert, um dort zu heiraten. Der dortige Pfarrer Francesco Toschini vermählte Paare, die andernorts keine Ehebewilligung bekamen. Das hatte sich herumgesprochen, blieb indes höchst umstritten. Die Churer Bistumsleitung rügte Pfarrer Toschini und setzte ihn schliesslich ab. Doch bald ist zu lesen, dass Crescentia Knobel aus Triesenberg später gar beim Heiligen Stuhl in Rom heiratete.

Als sich Magdalena Item und Josef Anton Knobel meist in Triesenberg aufhielten, wurden sie 1842 zu Heimatberechtigten dieser Gemeinde, mit Einschluss der dort getauften Töchter Crescentia und Magdalena. Grundlage dafür war Paragraf 60 des Gemeindegesetzes von 1842: «Die dem Lande zugewachsenen fremden Leute, welche nicht mehr entfernt werden können, und die in früheren Zeiten aufgenommenen sogenannten Staatsbürger, welche nicht ausdrücklich einer bestimmten Gemeinde zugewiesen worden sind, werden als Hintersassen jener Gemeinde erklärt, in welcher jene bei Erscheinung dieses Gesetzes ihren ordentlichen Wohnsitz genommen hatten.»

Bereits ab 1817 waren Angehörige der Familie Wagner als Hintersassen in Triesenberg. Die Sie kamen wohl aus Oberschwaben. Der als Korbflechter, Schreiner und Seiltänzer tätige Johann Wagner (1812–1897) heiratete 1864 Agatha Bauer aus Lustenau. Diese Vorarlberger Gemeinde hatte zuvor der Gemeindekasse von Triesenberg 110 Gulden bezahlt, als Vorbedingung für Agatha Bauers Einbürgerung in Triesenberg. Diese Zahlung ermöglichte dem mittellosen Paar die Heirat. Agatha Bauer und Johann Wagner hatten sechs Kinder, darunter die Tochter Wilhelmina Wagner (1874–1943). Diese lernte – wie ihr Vater – die Korbflechterei, blieb aber von der kommunalen Unterstützung abhängig. Sie war nie wirklich akzeptiert in Triesenberg. Man rief ihr Schimpfnamen nach, so auch «Schlegalbättleri», weil ihre Grosseltern unter dem Gemeindevorsteher Franz Josef Schlegel ein Heimatrecht in Triesenberg erhalten hatten.

Staatliches Heiratsverbot für Mittellose
Die Ausführungen zu den Familien Knobel und Wagner zeigen, dass Land und Gemeinden ärmeren Paaren ungern eine Heiratsbewilligung erteilten. Bereits 1804 legte Fürst Alois I. fest, dass für jede Eheschliessung eine Zustimmung der politischen Behörden nötig war. Der Staat konnte so mittellosen Paaren das Heiraten verbieten. In Zukunft musste jedes heiratswillige Paar ein gewisses Vermögen vorweisen. Mit dieser Anordnung wollte man verhindern, dass sich arme Leute unkontrolliert vermehrten und damit der Armenfürsorge zur Last fielen. Unverheiratete Paare, die Kinder zeugten, gab es trotzdem. Und diese Paare bemühten sich, wie angedeutet, nötigenfalls um eine Heiratsbewilligung im Ausland, denn die Folgen eines Konkubinats waren meist nur schwer erträglich.

Anna Maria Kirschbaumer, 1810 in Untervaz getauft und 1882 in Tisis verstorben, lebte von zirka 1830 bis 1846 im Konkubinat mit dem Triesenberger Hintersassen Josef Bauer. Das Paar hatte mehrere gemeinsame Kinder, so den Sohn Josef Kirschbaumer (1831–1897). Von ihm wird noch die Rede sein. Die Gemeinde Triesenberg weigerte sich, für diese mittellose Familie aufzukommen. Die lokalen Behörden drängten auf eine Abschiebung. Die Kirschbaumer waren spätestens ab 1842 als heimatberechtigte Hintersassen in Mauren anerkannt. Josef Bauer stellte fest: «Allein in meiner Gemeinde Triesenberg protestirte man gegen die Kirschbaumerin, die nach Mauren gehört, und die Maurer wollten wieder mich nicht.» Letztlich führte diese ausweglose Situation zur Trennung des Paares.

 

Heiratsurkunde aus Rom für Crescentia Knobel und Josef Bauer aus Triesenberg, datiert vom 23. Januar 1852, mit Nachtrag vom 24. Januar 1852. Quelle: Amt für Kultur, Liechtensteinisches Landesarchiv Vaduz, Signatur J 003/S 1854/26.

 

Eine Triesenbergerin heiratet in Rom
Der Vaduzer Landvogt Peter Pokorny hatte bereits 1828 beklagt, «liederliches Gesindel» fände «zu allen Zeiten sichere Zuflucht in Rom», um dort zu heiraten. Tatsächlich kümmerte sich die oberste Leitung der katholischen Kirche wenig um staatliche Eheverbote. Auf lokaler Ebene sah die Situation wiederum anders aus. Gemeinden und Pfarreien wehrten sich gegen Eheschliessungen von mittellosen Paaren. Sie wollten so darauf hinwirken, dass die Zahl der ihnen in Zukunft zur Last fallenden Fürsorgefälle möglichst klein bleibt.

Der erwähnte Josef Bauer – getrennt von seiner Konkubine, jedoch mit Kindern – wollte im Jahr 1850 Crescentia Knobel heiraten. Diese war, wie erwähnt, eine Tochter von Magdalena Item und Josef Anton Knobel. Josef Bauer und Crescentia Knobel zogen nach Rom, wo sie 1852 im Petersdom kirchlich getraut wurden. Das Paar kam zurück mit einer auf Lateinisch geschriebenen Hochzeitsurkunde. Crescentia Knobel und Josef Bauer legten diese Urkunde sogleich dem Triesenberger Pfarrer vor. Das führte zu ihrer Verhaftung. Ihnen wurde die verbotene Eheschliessung im Ausland zur Last gelegt.

Weshalb nahm das Paar diese strapaziöse «Hochzeitsreise» auf sich, um nach der Rückkehr gerichtlich belangt zu werden? Besonders nicht-sesshafte ledige Frauen wurden diffamiert, oft mit Prostituierten gleichgesetzt. Konnte eine solche Frau einen Trauschein vorlegen, so zeigte sie damit, dass sie in geordneten Verhältnissen lebte. Das war ein Vorteil im Verkehr mit den Behörden. Aufgrund eines guten Leumunds waren die Gefängnisstrafen für das erwähnte Paar eher mild: dreieinhalb Monate Arrest für den Schleifer Josef Bauer, drei Monate für seine Frau. Die als Besenbinderin tätige Crescentia Knobel wollte zudem die Kinder ihres Mannes unterstützen, doch wurde ihre Hilfe von diesen offenbar ausgenützt.

Die Ehe zwischen Crescentia Knobel und Josef Bauer selbst blieb kinderlos. Nach dem Tod Bauers 1861 wollte sein unehelicher Sohn Josef Kirschbaumer die verwitwete Crescentia Knobel heiraten. Diese war gleichaltrig, doch zugleich seine Stiefmutter. Die Behörden verboten Josef Kirschbaumer diese Eheschliessung. Crescentia Knobel selbst starb 1908 im Armenhaus in Triesen.

 

Noch im Tod ungleich
Der Triesenberger Pfarrer Matthäus Müller meldete am 10. Februar 1897 den Tod von Josef Kirschbaumer. Dieser hatte sich 30 Jahre zumeist in Triesenberg aufgehalten, er starb auf Fromahus. Der Triesenberger Gemeindevorsteher meldete tags darauf der Gemeinde Mauren, der Leichnam Kirschbaumers werde mittels Fuhrwerks in das dortige Armenhaus überführt.

Die Regierung in Vaduz fragte am 14. Februar 1897 die Verantwortlichen in Triesenberg, weshalb diese den Verstorbenen nicht an seinem Wohnort bestattet hätten. Gemäss einer Regierungsverordnung von 1873 seien die Gemeinden darüber hinaus verpflichtet, auf ihrem Gebiet Verstorbene auf dem eigenen Friedhof zu bestatten. Der Triesenberger Vorsteher erwiderte am 16. Februar 1897, man habe bereits zuvor die Gemeinde Mauren kontaktiert und diese über das vermutete baldige Ableben ihres Bürgers Kirschbaumer informiert. Die Unterländer Gemeinde habe darauf nicht geantwortet.

Pfarrer Matthäus Müller schrieb der Regierung am 20. Februar 1897: «Es stand zu befürchten (…), dass die kirchliche Beerdigung des verstorbenen Schleifers Joseph Kirschbaumer, dessen keineswegs gut katholische Lebensweise allgemein bekannt war, sehr viel Aufsehen und übles Gerede verursachen werde; wogegen in Mauren, wo der Lebenswandel des Verstorbenen weniger bekannt, solches nicht zu befürchten war.» An dieser Stelle sei daran erinnert, dass Josef Kirschbaumer ein uneheliches Kind war. Unehelich Geborene wurden noch bis weit ins 20. Jahrhundert stigmatisiert und ausgegrenzt. Zudem war ihm, wie erwähnt, das Heiraten verboten worden.

Die Behörden in Mauren freuten sich nicht über die Ankunft von Kirschbaumers Leichnam. Der Triesenberger Vorsteher erwähnte in seinem Brief vom 16. Februar 1897 an die Regierung, die Gemeinde Mauren habe jetzt sehr gehässig reagiert, und er resümiert: «Der Stoff zum Schimpfen ist daher nicht ausgeblieben, und wird hier vielfach gejubelt, jetzt werden Pfarrer und Vorsteher [von Triesenberg] bestraft.»

Laut Rechnung vom 26. Dezember 1897 hatte die Gemeinde Triesenberg folgende Auslagen für Kirschbaumer gehabt: je fünf Gulden für Unterstützung während dessen Krankheit sowie für den Leichentransport, dazu fünfeinhalb Gulden für den von Schreiner Josef Beck angefertigten Sarg. Die Regierung nahm eine vermittelnde Position ein. Sie verpflichtete mit Schreiben vom 27. Dezember 1897 die Gemeinde Mauren, die Kosten für Unterstützung und Sarg zu übernehmen. Für den Leichentransport würde die Gemeinde Triesenberg aufkommen.

Offizielle Aufhebung des Hinter­sassen-Status 1864
Mit dem Gemeindegesetz von 1864 war der Hintersassen-Status offiziell aufgehoben worden. Alle bisherigen Hintersassen erhielten die Option, sich in die Nutzungsrechte ihrer Heimatgemeinde einzukaufen. Dadurch hätten sie das volle Gemeindebürgerrecht erlangt, mit Anrecht auf landwirtschaftlichen Boden und auf Holz. Den meisten (ehemaligen) Hintersassen fehlte dafür das nötige Geld. So blieben sie Bürger zweiter Klasse in Liechtenstein. Ohne Gemeindenutzen blieben ihnen folgende Optionen: Weiterführen des traditionellen Handwerks (was zunehmend schwieriger wurde), Arbeit in der Textilindustrie, Dienst als Tagelöhner, Mägde und Knechte sowie die Auswanderung.

 

Literatur: Klaus Biedermann: «Aus Überzeugung, dass er der Gemeinde von grossem Nutzen seyn werde». Einbürgerungen in Liechtenstein im Spannungsfeld von Staat und Gemeinden 1809–1918. Vaduz, Zürich, 2012; derselbe: Die Folgen staatlicher Eheverbote für Betroffene in Liechtenstein. In: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Band 121. Vaduz, 2022, S. 67–96.

Quellen: Amt für Kultur, Liechtensteinisches Landesarchiv, Vaduz; sowie Gemeindearchiv Triesenberg; diverse Akten; Johann Beck, Rütelti 370, November 1984: D‘ Wagneri (Wilhelmina Wagner), in: Heimelige Zeiten (t. T. auch harte Zeiten), 3. Teil. Red. Engelbert Bucher, Triesenberg, S. 34–36 (im Triesenberger Dialekt geschrieben). zudem: Tauf-, Heirats- und Sterbebücher aus Liechtenstein, Graubünden und Vorarlberg