Mit dem Gesellschaftsministerium hat Regierungsrat Emanuel Schädler eine Reihe grosser Ausgaben übernommen. Im Interview berichtet er, wie er die Corona-Zeit aufarbeiten möchte, wie das Kostenwachstum im Gesundheitswesen eingedämmt werden könnte, warum die AHV jetzt ohne Not auf langfristig gesunde Beine gestellt werden kann und wie er das Projekt Landesspital nach Jahren der Planungen nun voranbringen möchte.
Interview: Heribert Beck
Herr Regierungsrat, wie haben Sie sich in den vergangenen knapp fünf Monaten in Ihre neuen Aufgaben eingelebt und was waren die grössten Herausforderungen?
Regierungsrat Emanuel Schädler: Eine grosse, aber auch spannende Aufgabe war es für mich, mir erst einmal einen Überblick über den grossen Bereich Gesellschaft und Justiz zu verschaffen. Es ist in diesen Themen in den vergangenen Jahren viel passiert und wir haben eine breite Palette an Anspruchsgruppen, die ich erst einmal persönlich kennenlernen wollte. Daneben läuft das Tagesgeschäft weiter. Es gibt akute und dringende Entscheidungen, die sich nicht aufschieben lassen. Auch haben wir einige Projekte der Vorgänger geerbt, die wir weitertreiben. Zum Glück kann ich mich auf mein Team im Ministerium verlassen, denn nur Teamwork macht es möglich, diese ganze Fülle an Themen und Aufgaben erfolgreich zu bewältigen.
Welche Arbeitsschwerpunkte haben Sie in diesen ersten Monaten gesetzt?
Was uns natürlich permanent beschäftigt ist das Landesspital. Wir müssen mit den Verantwortlichen nun endlich jene Klarheiten und Voraussetzungen schaffen, die wir brauchen, um mit dem Bau in geordneten und sicheren Bahnen voranzukommen. Leider haben unsere Überprüfungen ergeben, dass wir noch nicht dort sind, wo wir hinwollen. Wir arbeiten aber vertrauensvoll mit dem Stiftungsrat zusammen, und wir alle wollen, dass es zügig weitergeht. Weitere grosse Themen waren die langfristige Sicherung der AHV und natürlich der Budgetprozess für das Jahr 2026. Die Aufbruchsstimmung im Ministerium und den Ämtern mit einer gewissen haushälterischen Vorsicht zu paaren, ist eine Herausforderung. Aber es ist nötig, um das Grosse und Ganze des Landes und der Landesverwaltung auch künftighin auf tragfähige finanzielle Beine stellen zu können.
Mit dem angesprochenen Neubau des Landesspitals haben Sie keine einfache, vielleicht sogar eine undankbare Aufgabe übernommen. Wie zuversichtlich sind Sie, das Projekt nach all den Verzögerungen und Schwierigkeiten der vergangenen Jahre zu einem guten Abschluss zu bringen?
Das Projekt wurde ganz schwierig aufgegleist. Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass wir – hätte die erste Abstimmung gereicht – in den nächsten Monaten wohl Eröffnung hätten feiern können, sagt das schon alles. Am Ende wird es gut kommen, aber bis dahin wird es noch Geduld und Schweiss kosten.
Wie möchten Sie Ruhe in das Projekt bringen und mit welchem Zeithorizont rechnen Sie derzeit bis zur Eröffnung des neuen Landesspitals?
Wir – und damit meine ich alle Akteure, die in irgendeiner Form beteiligt sind – müssen jetzt schauen, dass Dokumentation und Organisation auf den neusten Stand gebracht werden und zweckgemäss sind. Wir brauchen mehr Bauwissen im Projekt. Der Steuerungsausschuss muss mit jenen Leuten besetzt werden, deren Institutionen dieses Wissen haben. Ich denke dabei insbesondere an die Stabsstelle für staatliche Liegenschaften. Ich bin optimistisch, dass wir das schaffen, weil dieser Ansatz von allen Seiten bisher positiv aufgenommen wurde und unterstützt wird. Es wird halt nicht so schnell gehen, wie wir uns das alle erhofft hätten. Aber am Ende zählt, dass wir ein zweckmässiges Spital haben, das sich unsere Bevölkerung mit zwei Abstimmungen gewünscht hat. Derweil müssen wir darauf bedacht sein, das Landesspital am alten Standort so auszustatten, dass dort das qualitativ hochwertige Arbeiten für die Angestellten weiterhin möglich ist. Das geht angesichts der Neubau-Diskussionen leider manchmal fast unter, ist im Moment aber wohl das Wichtigste: die Grundversorgung!
Erbprinz Alois hat kürzlich in einem Interview gesagt, dass er den Eindruck habe, die neue Regierung, «insbesondere der neue Gesellschaftsminister», wolle sich dem Thema Corona-Aufarbeitung nochmals widmen. Welche Schritte planen Sie diesbezüglich?
Es steht ausser Frage, dass noch ein Kapitel im Corona-Buch fehlt. Wir haben nicht wenige Menschen im Land, die persönlich und politisch von dieser Zeit traumatisiert sind, auch wenn wir verglichen mit anderen Ländern vergleichsweise gut durch die Pandemie gekommen sind. Es gibt Menschen, die das Vertrauen verloren haben. Und diesen Menschen müssen wir ein vernünftiges Angebot machen, damit sie wieder bereit sind, unserem Staat zu vertrauen. Wir müssen dabei unterscheiden zwischen jenen, die wirklich Probleme mit diesem Teil der jüngeren Geschichte haben, und jenen, welche diese Gefühle bei den Menschen zu ihrem politischen Vorteil instrumentalisieren wollen. Ich hatte zu diesem Thema sehr viele gute Gespräche und ich habe mir vorgenommen, dass wir in dieser Legislatur noch einmal einen Schritt aufeinander zu machen. Ob mir das gelingt, hängt davon ab, wie stark es von allen Seiten gewollt ist.
Ein anderes Gesundheitsthema: In wenigen Wochen werden die OKP-Prämien für das Jahr 2026 bekanntgegeben. Rechnen Sie nach wie vor mit einer moderaten Steigerung oder eher doch wieder mit dem oft bemühten «Prämienschock»?
Wie jedes Jahr haben die Kassen die Prämien auf Ende August eingereicht. Die Aufsichtsbehörde hat nun die erforderlichen Prüfungen durchzuführen, sodass die Bekanntgabe der Prämien wie üblich Anfang Oktober erfolgen kann. Jüngste Kostendaten lassen einen Prämienanstieg erwarten. Mit einem Prämienschock rechne ich nicht. Aber ich möchte hier keine falschen Versprechungen machen. Wir haben in diesem Themenfeld halt das folgende Dilemma: Wir alle wollen die beste medizinische Versorgung, aber sie muss auch möglichst günstig sein. Ich denke, ein grosser Teil der Bevölkerung weiss, dass das so nicht geht. Qualität hat ihren Preis. Aber wenn wir an einen Punkt kommen, an dem grosse Teile das Solidaritätsprinzip der OKP infrage stellen, dann sind wir zum Handeln verpflichtet. Wenn beispielsweise Umfragen in der Schweiz sagen, dass 80 Prozent für eine Einheitskrankenkasse sind, der man dann notabene auf Gedeih und Verderb alternativlos ausgeliefert ist, und ein Drittel sich sogar vorstellen kann, das Obligatorium ganz abzuschaffen, dann hat das System ein massives Vertrauensproblem. Und daran müssen wir arbeiten. Das kann man aber nicht, indem man allen Akteuren sagt, dass sie Teil des Problems sind. Wir müssen eine Kultur erreichen, in der alle Akteure Teil der Lösung sein wollen.
Wie möchten Sie das stetige Prämienwachstum künftig eindämmen?
Wichtig ist, dass wir keine Prämienexplosionen haben. Dort müssen wir ansetzen, ausser, wir wollen riskieren, dass wir eine Zweiklassenmedizin schaffen. Ein Gedankenspiel: Dann würden wir die Selbstbehalte so hoch ansetzen, dass sich nur noch die Reichen Behandlungen leisten könnten. Dann könnten wir vielleicht die Prämien senken, der Zugang zu Leistungen würde aber eingeschränkt. Im Sinne der Solidarität wäre das jedenfalls nicht. Wir müssen sicher Entscheidungen treffen – und das ziemlich bald. In der Schweiz sind Bestrebungen da, der gesellschaftliche Druck wächst und auch die Einführung der einheitlichen Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen, kurz EFAS, in der Schweiz eröffnet auch bei uns Diskussionsspielräume, die ich in den nächsten Jahren nutzen möchte, um das Gesundheitswesen fit zu machen. Damit es qualitativ hochwertig, aber auch bezahlbar bleibt.
Ein anderes grosses Thema ist derzeit europaweit die Sicherung der Renten. Wie steht es aktuell um die Liechtensteiner AHV? Wie viele Jahresausgaben sind ungefähr in Reserve?
Wir haben ungefähr elf Jahresausgaben in Reserve. Gemäss den aktuellen Modellrechnungen haben wir auch in knapp 20 Jahren noch rund vier bis fünf Jahresausgaben auf der hohen Kante. Das ist komfortabel. In der Schweiz und Österreich und ganz sicher auch in Deutschland beneidet man uns darum. Aber nun sagt uns das Gesetz, dass wir handeln müssen, weil wir eben in 20 Jahren nicht mehr ganz fünf Jahresausgaben im Fonds hätten. Und diese fünf Jahresausgaben Reserven wären für die meisten Rentenkassen in Europa ein Traum, wohlgemerkt! Wir brauchen kein Paket, weil wir ein Problem haben. Wir brauchen ein Paket, um die gesetzlichen Grundlagen zu erfüllen, bevor wir ein Problem bekommen. Das sind Welten!
Welche Massnahmen könnten Sie persönlich, das Einverständnis des Landtags und allenfalls des Volks vorausgesetzt, sich vorstellen, um die im Vergleich mit anderen Staaten überaus komfortable Situation der AHV langfristig sicherzustellen?
Alle! Wir haben im Koalitionsvertrag schwarz auf weiss, dass das Lösungspaket eine Mischung aller möglichen Massnahmen sein muss, damit die Lasten auf die verschiedenen Schultern verteilt werden. Somit ist grundsätzlich keine Massnahme undenkbar. Ich gehe aber davon aus, dass ein Grossteil der Menschen in unserem Land nicht am gut funktionierenden System an sich rütteln will.

Neben dem Gesellschaftswesen geht der Geschäftsbereich Justiz in der öffentlichen Wahrnehmung fast unter. Was beschäftigt Sie dort im Moment und in näherer Zukunft?
Wir sind mitten in der Umsetzung der beschlossenen Justizreform, für die meine Vorgängerin Graziella Marok-Wachter die politischen und der Landtag die gesetzlichen Grundlagen geschaffen hat. Jetzt müssen wir das Ganze theoretische Gebilde mit Leben füllen. Es gibt viel Bewegung im Justizapparat, weil nun neue Richter zu bestellen sind und sich neue Chancen bieten. Zudem prüfen wir laufend die Instanzenzüge und nehmen die Reform auch zum Anlass, das System weiter zu optimieren. Zudem haben wir mit der ersten Lesung der Optimierung des Trustrechts einen weiteren Teil der Reform angestossen, den man damals aus dem Paket herausgenommen hatte. Diesbezüglich finden wir auch für die zweite Lesung noch die richtige Dynamik für einen Erfolg. Und dann waren da noch die medialen Berichterstattungen über die sogenannten verwaisten Strukturen – verkürzt gesagt Stiftungen, die aufgrund von Sanktionierung oder Sanktionierungsgefahr von ihren Organen verlassen wurden. In diesem Zusammenhang zeigen unsere Arbeiten bisher, dass das Problemvolumen zum Glück kleiner ist, als es gewisse finanzplatzkritische Journalisten gerne gesehen hätten. Auch dabei sind wir auf gutem Weg hin zu Lösungen.
Die Sommerferien liegen erst wenige Wochen zurück. Daher abschliessend die Frage: Wie hat Emanuel Schädler in seinem ersten Sommer als Gesellschafts- und Justizminister abgeschaltet?
Um Kraft für die anstehenden Aufgaben zu tanken, habe ich mit meiner Frau und meiner Tochter ein paar erholsame Tage in den Tiroler Bergen und ein paar sonnige Tage an einem griechischen Strand verbracht.
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