Über 100 Auslandreisen absolvierte Papst Johannes Paul II. während seiner Zeit als Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche. Eine davon führte ihn am 8. September 1985 nach Liechtenstein. Die Beziehungen zwischen Liechtenstein und dem Vatikan verstärkten sich unter Johannes Paul II. mit der Akkreditierung eines liechtensteinischen Botschafters beim Heiligen Stuhl. Die Errichtung des Erzbistums Liechtenstein im Jahr 1997 fällt ebenfalls in sein Pontifikat.
Text: Günther Meier
Über 30’000 Gläubige warteten beim Sportpark Eschen-Mauren auf Papst Johannes Paul II. Fast auf die Minute genau um 10 Uhr landete der Helikopter mit dem Heiligen Vater an Bord am Rande der Sportanlage. Wie üblich bei seinen Auslandreisen stieg der Papst aus dem Helikopter, kniete nieder und küsste den Boden. Das Fürstentum Liechtenstein war das 45. Land, das vom kirchlichen Oberhaupt im Rahmen einer Pastoralreise besucht wurde. «Eure Heiligkeit! Ihr Besuch ist der bedeutendste, den Kirche und Land von Liechtenstein je erleben durfte», sagte Fürst Franz Josef II. bei seiner Begrüssung. Nach der päpstlichen und liechtensteinischen Hymne, gespielt von den Musikvereinen von Eschen und Mauren, fuhr der Heilige Vater mit dem «Papamobil» durch die Menschenmenge zum Altar, wo er zusammen mit Bischof Johannes Vonderach und Vertretern des liechtensteinischen Klerus die Messe zelebrierte.

Mahnende Worte des Papstes gegen egoistische Bedürfnisse
Bei der Begrüssungszeremonie hatte Papst Johannes Paul II. in einer Ansprache daran erinnert, weshalb er jeweils den Boden küsse bei seiner Ankunft . Wie bei anderen Pastoralreisen in die verschiedenen Kontinente habe er vorhin auch den Heimatboden der Liechtensteiner geküsst und so seine Wertschätzung gegenüber diesem Land und seinen Bürgerinnen und Bürgern zum Ausdruck gebracht: «Diese Geste der Zuneigung verstehe ich als Zeichen meiner Achtung vor der von Gott geschaffenen Welt und meiner Ehrfurcht gegenüber dem Schöpfer selbst, dem wir Menschen unsere Existenz und alles, was diese enthält, verdanken.» Der Heilige Vater lobte Liechtenstein, dem er nun erstmals einen Besuch abstattete und betonte: «Die Geschichte und das Brauchtum Ihres Landes sind geprägt vom Geist des Christentums und geben dem Fürstentum Liechtenstein durch die Ehrbarkeit und den Fleiss seiner Bürger einen ehrenvollen Platz in der Gemeinschaft der Völker.»
Der Heilige Vater hatte aber auch mahnende Worte bereit, als er den materiellen Wohlstand Liechtensteins lobte. Der hohe Lebensstandard zeuge von der Tüchtigkeit der Bürgerinnen und Bürger, verlange jedoch zugleich eine hohe sittliche Reife und Verantwortung. Sonst verleite er nur allzu leicht zu Bequemlichkeit, zur Befriedigung egoistischer Bedürfnisse und zur Rücksichtslosigkeit gegenüber den Mitmenschen. «Wenn ihr wirklich zum Leben in Christus aufbrechen wollt, müsst ihr ausbrechen aus der selbstsüchtigen Welt von Habgier und blossem Geniessen und euch auf jenen schmalen, aber verheissungsvollen Weg begeben, der zum eigentlichen Gipfel des Lebens führt – zur Vollendung in Gottes Ewigkeit», betonte Johannes Paul II. mit Anspielung auf die für 1985 beschlossene Volksmission unter dem Motto «Aufbruch zum Leben».

Grosses Lob für die christliche Tradition in Liechtenstein
Auf Schloss Vaduz richtete Papst Johannes Paul II. einige Worte an die beim Empfang anwesenden Politiker aus Regierung und Landtag. Einleitend wies er auf eine Enzyklika hin, die sein Vorgänger Leo XIII. im Jahr 1885 über die christliche Staatsordnung veröffentlicht hatte. Dieser habe die Staatsmänner ermahnt, vor allem auf Gott und seinen Willen zu blicken, auf den höchsten Herrscher der Welt. Johannes Paul II. äusserte Verständnis für die komplexen Probleme, die von den Politikern zu lösen seien. Dennoch dürften sie bei ihrem Handeln ein solides Werte- und Verantwortungsbewusstsein nicht vermissen lassen: «Gerade bei der heutigen Vielfalt der Ansichten und Absichten ist vom gläubigen Christen, der in einer gesellschaftlichen Führungsposition steht, ein klarer Standpunkt gefordert.» Der Papst lobte die christliche Tradition des Fürstentums Liechtenstein und äusserte seine Hoffnung, dass Liechtenstein auf «diesem kostbaren und kraftvollen Erbe» auch in Zukunft weiterbaue. Er erinnerte an die grosszügigen Hilfeleistungen für Flüchtlinge und Verwundete des Zweiten Weltkriegs und die bereitwillige Aufnahme von Verfolgten. «Dieses gereicht dem Fürstentum Liechtenstein zur bleibenden Ehre», betonte der Papst und unterstrich seine damit verbundene Hoffnung: «Möge dieser mutige Einsatz für die Würde und die Rechte des Menschen von gestern das Volk, besonders die Verantwortlichen in diesem Staat, auch heute und morgen als Vorbild und Auftrag in ihren Entscheidungen leiten und verpflichten.»
Organisch gewachsene Beziehungen zwischen Kirche und Staat
Regierungschef Hans Brunhart erinnerte in seiner Rede auf Schloss Vaduz an Dekan Franz Näscher, der in seiner Predigt zum Staatsfeiertag 1980 festgestellt habe, die Kirche sei in Liechtenstein nie eine Macht gewesen, sicher jedoch eine Kraft, die in verschiedenen Bereichen gewirkt habe. Ein Blick in die Geschichte des Landes zeige die organisch gewachsenen Beziehungen zwischen Kirche und Staat, sagte Brunhart weiter. Die christliche Tradition des Landes drücke sich auch in der jedes Jahr am Staatsfeiertag erneuerten Losung «Für Gott, Fürst und Vaterland» aus. Auf das Motto des Papstbesuchs «Aufbruch zum Leben» hinweisend, leitete der Regierungschef auf die Aussenpolitik über: «Liechtenstein bemüht sich, im Verband der auf Freiheit, Solidarität, Frieden und Gerechtigkeit gegründeten Staaten Europas und der Welt, den ihm gebührenden Platz einzunehmen.» Liechtenstein als auf den christlichen Grundsätzen aufbauender Staat fühle sich in besonderer Weise mit dem Heiligen Stuhl und den Bemühungen um mehr Frieden und mehr Freiheit unter den Völkern verbunden. Den Papst selbst bezeichnete Brunhart als einen unermüdlichen Mahner für Menschenrechte, für Freiheit und für Gerechtigkeit. Die von Johannes Paul II. repräsentierte Kirche könne durch die Betonung dieser christlichen Grundsätze zu einem Abbild des Friedens für die Staatenwelt werden: «Toleranz aber nicht im Sinne von Meinungslosigkeit oder von Schwäche, sondern im Sinne von Verständnis und gegenseitiger Achtung.» Gerade in einem Kleinstaat wie Liechtenstein spüre man besonders, sagte der Regierungschef, wie notwendig die von der Kirche geforderte Gemeinsamkeit und die gegenseitige Achtung seien.
Der Papstbesuch – ein eindrückliches Fest des Glaubens
Für Liechtensteins aktive Katholiken war die Zeit um den Papstbesuch ein bewegter Zeitabschnitt. Aus Anlass des Heiligen Jahres wurde 1983 eine Landeswallfahrt nach Rom organisiert, an der knapp 800 Personen teilnahmen, unter ihnen Fürst Franz Josef II. mit weiteren Angehörigen der Fürstlichen Familie, Bischof Johannes Vonderach, Mitglieder der Regierung und des Landtags, Gemeindevorsteher und Seelsorger.
Im Mittelpunkt der Pilgerreise stand eine Sonderaudienz bei Papst Johannes Paul II. Fürst Franz Josef II. überbrachte dem Heiligen Vater bei dieser Gelegenheit die Einladung zu einem Pastoralbesuch in Liechtenstein, der schon 1985 Wirklichkeit werden sollte. Er fand unter dem Motto «Aufbruch zum Leben» statt, ein Motto, das gleichzeitig auch für die im gleichen Jahr anberaumte Volksmission galt.
Der grosse Volksaufmarsch zur heiligen Messe mit Papst Johannes Paul II. beim Sportpark Eschen-Mauren wurde von vielen als beindruckend empfunden, als ein gutes Zeichen für die römisch-katholische Kirche in Liechtenstein. Allerdings gab es auch Kritik wegen der Dimension der Organisation und der Ausklammerung kritischer Meinungen. Der damalige Dekan Franz Näscher schrieb im Jahresbericht 1985 des Dekanats, der Erfolg des Papstbesuchs lasse sich weder statistisch festhalten noch im religiösen, seelsorglichen Bereich. Aber: «Das eindrückliche Fest des Glaubens zusammen mit dem Papst hat sicher vielen Mut und Zuversicht gegeben. Es wurde eine so grosse Gemeinschaft Gleichgesinnter erlebt, wie es in unserem Land sonst gar nicht möglich ist!»
Treffen mit den Jugendlichen
Einen wesentlichen Programmpunkt im dichtgedrängten Besuchsprogramm von Papst Johannes Paul II. in Liechtenstein bildete ein Treffen mit Jugendlichen. Papst und Jugend trafen sich auf Dux, oberhalb von Schaan, wo der Heilige Vater das Volk, das Land und das Fürstenhaus der Gottesmutter Maria weihte.
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